Archäologische Untersuchungen am Rauhen Kulm
in der Flednitz (Hans Losert): 2. Teil
In den
vergangenen Jahren fanden in der Flednitz, der slawischen
bzw. naabwendischen Siedlungskammer, deren natürliches Zentrum der Rauhe
Kulm bildet, eine Reihe archäologischer Untersuchungen statt, die unsere
Kenntnisse von der früh- und hochmittelalterlichen Siedlungsgeschichte
im Einzugsbereich der Haidenaab beträchtlich erweiterten.
[Frühmittelalterliche Friedhöfe]
Schon
seit den 1880er Jahren wurden auf einem Höhenrücken in der Flur
Marteranger bei Eichelberg 14 km südöstlich vom Rauhen Kulm immer wieder
Gräber beobachtet. (35) Eine genauere
Dokumentation dieser Nekropole des 8./9. Jahrhunderts zwischen den
Altstraßen von Eichelberg nach Altendorf und Pressath wäre sehr
wünschenswert, zumal von hier ein Grab mit Sporen (Abb. 18; 1-2), also
der Hinweis auf einen Berittenen sowie die Beigabe in Form eines
Tongefäßes mit Wellenbanddekor (Abb. 18; 3) - letzteres Beleg für
verhältnismäßig frühe Zeitstellung - vorliegen.
2003
und 2004 wurden in der seit 1921 bekannten Nekropole auf dem Bühl
bei Mockersdorf am Fuße des Rauhen Kulms noch einmal 40
frühmittelalterliche Bestattungen dokumentiert. (36)
Der Ortsname ist wohl deutsch, als eindeutiger Beleg für eine
karolingerzeitliche fränkische oder bayerische Siedlung mit Friedhof ist
dies jedoch entgegen der Ansicht von Adolf Gütter (37)
nicht geeignet, zumal theoretisch für den Platz ursprünglich auch ein
slawischer Name vorgelegen haben kann und von den frühmittelalterlichen
Strukturen der Flednitz außer der zentralen Burg und der Siedlung auf
dem Netzaberg bislang nur Gräberfelder bekannt sind. Von den Altfunden
sind vor allem ein Beschlag in Form eines frontal gesehenen Tierkopfes
sowie zwei Äxte mit einer großmährischen Analogie etwa in Grab 375 von
Bfeclav-Pohansko zu erwähnen. (38) Die neu
geborgenen Gräber enthielten für Region und Zeit typische Funde, wie
silberne Kopfschmuckringe, Glasperlen, bronzene Nadeln und Fingerringe
sowie Messer. Den Frauen in Grab 12 und 14 wurde am Fußende jeweils ein
Huhn mitgegeben. Der junge Knabe in Grab 18 trug eine Gürteltasche mit
Feuerstahl, Feuerstein, Schleifstein, Messer und zwei geflügelten
Pfeilspitzen (Abb. 19).
[Angst vor Wiedergängern?]
Außergewöhnlich sind zahlreiche Bestattungen, bei denen nach der
Beisetzung Veränderungen vorgenommen wurden, die wohl im weitesten Sinne
mit symbolischer Bannung des Toten bzw. Angst vor Wiedergängern bzw.
Untoten zu tun haben. So wurde bei fast allen Skeletten der Schädel
sekundär verlagert. In Grab 6 wurde er auf dem entnommenen Unterarm
aufgespießt, in Grab 4 unter einem fast die ganze Grubenbreite
einnehmenden Sandstein zerdrückt. Da die übrigen Knochen dabei nicht
bewegt wurden, geschah dies, als kein Sehnenverband mehr bestand, die
Verwesung des Leichnams also weitgehend abgeschlossen war. Besonders
eindrucksvoll ist Grab 22, wo der Körper der Toten nach Verlagerung des
Kopfes mit zahlreichen großen Sandsteinbrocken bedeckt wurde (Abb. 20).
Wenigstens zwei Personen wurden auf dem Bauch liegend beerdigt.
Vergleichbare Praktiken sind für die benachbarte Nekropole von
Eichelberg, aber auch für das Gräberfeld von Matzhausen im
Truppenübungsplatz Schmidmühlen überliefert. (39)
Inwieweit diese bei den Westslawen nicht seltenen Erscheinungen (40) Zeugnisse von Heidentum oder Synkretismus sind, ist
kaum zu beurteilen.
[Die Nekropole
von Wirbenz]
Nur
knapp 6 km nordöstlich vom Rauhen Kulm, aber schon im oberfränkischen
Landkreis Bayreuth liegt die 1995 entdeckte und offenbar vom 8. bis 10.
Jahrhundert genutzte Nekropole von Wirbenz (Abb. 21-22). (41)
Falls das Gräberfeld im Norden der Flednitz (Abb. 16), tatsächlich zu
einem Vorgänger von Wirbenz mit slawischem Ortsnamen (42)
gehört, würde dies wegen der mit mehr als 500 m auffällig großen
Entfernung zwischen Dorf und Bestattungsplatz für strukturelle
Veränderungen der Siedlungslandschaft sprechen. Die Untersuchung in der
Flur Kalkäcker 1996 und 1997 erbrachte 30 Gräber, die Claudia Haberstroh
vom Ende des 8. bis in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts datiert und
einer Mischbevölkerung von Slawen und Deutschen zuschreibt. (43)
Grab 30 (Abb. 22) gehöre jedoch nach einem Hiatus
frühestens an den Beginn des 11. Jahrhunderts. Die ungewöhnlich späte
Einordnung des unter anderem mit einer Bartaxt ausgestatteten Mannes
beruht auf einer der für die fünf Bestattungen 9 (Frau, 785-895), 10
(junge Frau, 685-805, Abb. 19), 16 (Frau, 934-1032, Abb. 19), 17 (Frau,
685-775, Abb. 19) und 30 (998-1122) vorliegenden Radiokarbonanalysen.
(44)
[Der Friedhof
vom Barbaraberg]
Die
jüngste bekannte Nekropole der Flednitz, die noch in die Zeit vor
einer festen Pfarreiorganisation gehört, wurde schon 1972 entdeckt und
liegt auf dem Barbaraberg beim Kloster Speinshart 4 km südlich vom
Rauhen Kulm (Abb. 2S-24). (45) Daß der Gipfel des
Rauhen Kulms von diesem Bestattungplatz aus gesehen ganz genau die
Himmelsrichtung Nord angibt, ist sicher kein Zufall. Bei den 1992 bis
1995 von Anja Heidenreich durchgeführten Ausgrabungen wurden 161 Gräber
mit 297 Individuen dokumentiert. Echte Beigaben kamen dort nicht mehr in
die Gräber, erhaltene Trachtbestandteile sind fast allein Schläfenringe
mit guten Analogien in Böhmen, Thüringen und Westungarn. (46)
Bemerkenswert ist, dass Olav Röhrer-Ertl bei der anthropologischen
Untersuchung der Skelette deutliche Bezüge zum pannonischen Raum
feststellte und die auf dem Barbaraberg Bestatteten einer sozial
gehobenen Schicht zuschrieb. (47) Am Nordrand der
Nekropole wurde dann wohl um 1000 eine Steinkirche errichtet. Der Saal
mit Rechteckchor und westlicher Erweiterung (Abb. 23) war wohl auch
Eigenkirche regionalen slawischen Adels, obwohl von der zugehörigen
Siedlung, der sagenhaften Mirga, bislang keine Spuren angetroffen
wurden. Der in Schriftquellen des hohen Mittelalters nicht überlieferte
Bau - die einzige bekannte von den sicher ursprünglich in größerer
Anzahl vorhandenen Missionskirchen der mittleren und nördlichen
Oberpfalz - übernahm in der Flednitz vor Einsetzen einer
flächendeckenden Kirchenorganisation durch Pfarreien letzteren ähnelnde
Funktionen.
2006
wurden Reste vorgeschichtlicher und mittelalterlicher Strukturen auf dem
Netzaberg bei Eschenbach nachgewiesen. (48) Es handelt sich bislang um
die einzige archäologisch untersuchte Siedlung der Flednitz, die
bis in das frühe Mittelalter zurückreicht. Die wenigen Keramikscherben
der Zeit vor 1000 haben direkte Analogien unter den Funden vom Rauhen
Kulm.
[Kontakte zwischen Bajuwaren und Slawen]
Der
archäologische Forschungsstand zu Slawen, Bajuwaren und Ostfranken in
der nördlichen Oberpfalz um Kemnath hat sich durch Grabungen der letzten
Jahre deutlich verbessert, (49) dennoch bleiben viele Fragen offen,
besonders dann, wenn eindeutige Antworten erwartet werden. Die Oberpfalz
nördlich der Donau war ebenso wie die Gebiete an Main und Regnitz
vielschichtigen Prozessen ausgesetzt, an denen Bajuwaren, Franken,
Thüringer, Slawen und als wichtiger Traditionsträger die namenlose
autochthone Bevölkerung beteiligt waren. Das frühslawische
Brandgräberfeld von Mockersdorf 2003 Grab 18
Regensburg-Großprüfening
(50) zeigt, dass es seit dem letzten Drittel des
6. Jahrhunderts zu engeren Kontakten zwischen Bajuwaren und Slawen kam,
die schließlich mit Duldung des agilofingischen Herzogs und wohl auch
der merowingischen Könige die Ausbreitung slawischer Kultur über das
Naabtal nach Norden ermöglichte. Erkennbar ist dann anhand
archäologischer Funde und Siedlungsnamen ein verhältnismäßig
geschlossenes naabwendisches Siedlungsgebiet mit der Flednitz im
Norden (Abb. 25), das nach Böhmen durch den Oberpfälzer und Bayerischen
Wald und nach Westen durch die Oberpfälzer Alb begrenzt wird.
Kennzeichnend für diese Region sind bedeutende Verkehrspforten
gleichermaßen zu den germanischen wie slawischen Nachbarn. Im Norden und
Nordwesten bestand über die Weidener Bucht bzw. Flednitz und über
die Wiesent eine Verbindung zum main- bzw. regnitzwendischen Bereich; im
Osten führten bedeutende Wege nach Böhmen.
Die
seit um 700 faßbare Übernahme von Körperbestattungen durch die
Naabwenden ist Folge der von West nach Ost getragenen kulturellen
Umformungsprozesse, die mit der Ausbreitung und Verfestigung politischer
und kirchlicher Strukturen an der Peripherie des Frankenreiches
einherging. Die dynamischen Transformations- und kulturellen
Ausgleichsprozesse erfaßten wenig später auch die slawischen Nachbarn im
Osten und Südosten. Anders als dort kam es im Bearbeitungsgebiet jedoch
allmählich zur Assimilation der slawischen Bevölkerung, die im Verlaufe
des hohen und späten [?] Mittelalters zum Verlust der eigenen Sprache
führte. Aus Naabwenden wurden die einen bayerischen Dialekt sprechenden
Oberpfälzer. Eine wichtige noch zu klärende Frage bezüglich der
zeitlichen Abfolge und herrschaftlichen Zuordnung des Landesausbaus
betrifft das Verhältnis der Flednitz zur regio Egere. Die
Erforschung der vielschichtigen historischen Prozesse in einer Grenz-
und Kontaktzone zwischen germanischer und slawischer Siedlung bzw.
Kultur bleibt spannend.
(34) Die
archäologischen Untersuchungen am Rauhen Kulm wären ohne die großzügige
Unterstützung durch viele historisch interessierte Personen und
zahlreiche örtliche und überregionale Institutionen nicht möglich
gewesen. Allen Helfern und Gönnern gilt an dieser Stelle unser
herzlicher Dank. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die
Otnant-Gesellschaft für Geschichte und Kultur in der Euregio Egrensis,
die im Rahmen ihres von der Europäischen Union geförderten
grenzübergreifenden Projektes „Siedlung - Sprache - Straße.
Siedlungsgeschichte in der Euergio Egrensis" die Grabung am Rauhen Kulm
überhaupt erst möglich gemacht hat.
(35) Pöllath 2002: 123-124, Taf. 20; 1-4, Taf. 117; 2, Stroh 1954: 25,
Taf. 17; E, Taf. 21; C
(36) Losert 2006: 54-55, Losert & Szameit 2004.
(37) Gütter 1997: 137.
(38) Stroh 1954: Taf. 15; B10, 24-25, Kalousek 1971: 203, Abb. 375; 3.
(39) Stroh 1954: 25, 29-33, Taf. 19; A.
(40) Brather 2001: 264, Röhrer-Ertl 1999: 54-58, Siupecki 2000.
(41) Haberstroh, C. 2004, 2007, Krebs 1998.
(42) Eichler, Greule, Janka & Schuh 2006: 236-239, 251, 257, 263, 265.
(43) Haberstroh, C. 2004: 89-93.
(44) Haberstroh, J. 2004.
(45) Heidenreich 1997, 1998, Röhrer-Ertl 1998, Röhrer-Ertl
1999:25-97.
(46) Heidenreich 1998: 41-53, 77-78.
(47) Röhrer-Ertl 1998: 158-167, Röhrer-Ertl 1999: 71-80.
(48) Raßhofer 2007: Abb. 8; 2-6, Eiser & Losert 2007, die Endpublikation
durch Eiser & Losert ist im Druck.
(49) Vergleiche Losert 2003c und besonders Tovornik 1988: 126-127.
(50) Eichinger & Losert 2004.
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Kemnath 1000 Jahre ... und mehr (Heimatbuch zum 1000-jährigen Bestehen)
2007 - Zwischenüberschriften vom Bearbeiter]
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"Archäologie ohne Grenzen"
Abb. 16: Flednitz, das Gebiet um den Rauhen Kulm an der
oberen Heidenaab, Erwähnungen des Begriffs Flednitz.
[Aus Neubauer & Thieser 2007, Abb. 2]
Abb. 17: Blick in die Flednitz von Süden
mit Rauhem Kulm, Kloster Speinshart und Barbaraberg. Historische Ansicht
von 1825 [Freundliche Vermittlung durch Georg Miedel, Neustadt am Kulm]
Abb. 18: Eichelberg, Lkr. Neustadt an der
Waldnaab, Marteranger, l Grab 2, Alter und Geschlecht unbestimmt,
Tongefäß (Höhe 11,8 cm) des 8.19. Jahrhunderts, 2-3 Grab 7, Mann mit
Sporen (Länge 16,3 cm), Beisetzung im 9. Jahrhundert. [Stroh 1954: Taf.
17; E1, 3-4]
Abb. 19: Mockersdorf, Lkr. Neustadt an
der Waldnaab, Bühl.
Grab 18, Knabe, 11-13 Jahre alt, Beisetzung im 8./9. Jahrhundert. [Foto:
Hans Losert]
Abb. 20: Mockersdorf, Bühl. Grab 22,
Frau, 30-40 Jahre alt, Beisetzung im 8./9. Jahrhundert.
[Foto: Hans Losert]
Abb. 21: Wirbenz, Lkr. Bayreuth,
Kalkäcker. Glasperlen aus den Frauengräbern 4, 10,16, 17 und 28, 8. bis
frühes 10. Jahrhundert [Haberstroh, C. 2004: 8]
Abb. 22: Wirbenz. 1-5 Grab 30,
Mann, 40-60 Jahre alt, mit Gürtelschnalle, Riemenzunge, Riemenbesatz mit
zungenförmigem Ende (Länge 7,5 cm), Messer (Länge 23,2 cm) und Bartaxt
(Länge 14,6 cm), Beisetzung nach Radiocarbonanalyse frühestens um 1000?
[Haberstroh, C. 2004, Taf. 7; 11-15]
Abb. 23: Barbaraberg, Lkr. Neustadt an
der Waldnaab.
Kirche der Zeit um 1000 und Gräberfeld des 9./10. Jahrhunderts.
[Heidenreich 1997: Abb. 113]
Abb. 24: Barbaraberg, Lkr. Neustadt an
der Waldnaab.
Ausgewählte Funde aus dem Gräberfeld des 9./10. Jahrhunderts.
[Heidenreich 1997: Abb. 113]
Abb. 25: Frühmittelalterliche
Gräberfelder in Nordbayern.
[Losert 2007, kartographische Umsetzung: Guido Apel, Bamberg]
Abb. 3: Rauher Kulm, Plan der
Befestigungen
und Schnitte
[Neischl 1912: Planbeilage II]
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