"Das slawische
Missionskreuz"
Heidnischer Kultplatz auf dem Vulkan?
"Es ist
ein geheimnisumwobener Berg, der Rauhe Kulm am nordwestlichen Ende der
Oberpfalz, rund 23 Kilometer von Bayreuth entfernt. In dieser entrückten
Landschaft ragt der Kulm als Geländemarke empor, ein erloschener
Vulkankegel, der vermutlich vor Jahrmillionen einmal Lava ins heutige
Nordbayern spuckte. Auf der windumtosten Kuppe des Berges versuchen seit
einigen Jahren Archäologen aus Bamberg und Wien, den Geheimnissen der
vergangenen Jahrtausende auf die Spur zu kommen (s. BAYERISCHE
ARCHÄOLOGIE Heft 4, S. 34-38). Denn rund um die Basaltgeröllfelder
ziehen sich vor- und frühgeschichtliche Mauern oder Wälle, deren Alter
noch nicht vollständig geklärt ist. Wen zog es auf diese unwirtliche
Höhe (682 m ü. NN), wo nicht nur der Wind im Sommer frösteln lässt,
sondern auch das Felsengeröll wenig einladend wirkt?
[Befestigungen aus vor- und
frühgeschichtlicher Zeit]
So viel steht fest: Einzelne Funde weisen darauf hin,
dass bereits in der Jungsteinzeit um 3000 v. Chr. sich Menschen hier
oben aufhielten - aus welchen Gründen auch immer. Ein erste massive
Mauer scheinen dann die Kelten um 500 v. Chr. erbaut zu haben. Die
Archäologen Hans Losert (Universität Bamberg) und Professor Erik Szameit
(Universität Wien) konnten nämlich zusammen mit ihren Studenten eine
mehr als vier Meter breite so genannte Pfostenschlitzmauer aufdecken,
typisch für die Keltenzeit mit ehemals Pfosten in der Mauerfront. Trotz
zahlreicher Funde aus dieser Periode - dem Übergang von der Hallstatt-
zur Latenezeit - könne man jedoch einen vorgeschichtlichen Wall noch
nicht mit hundertprozentiger Sicherheit postulieren. Die kommenden Jahre
werden wohl endgültig klären, wann die erste Befestigung genau erbaut
wurde. Losert: »Das kriegen wir schon noch raus.«
Die Abfolge der Wälle und Mauern lässt sich deshalb so
schwer bestimmen, weil die Bergkuppe schließlich im frühen Mittelalter
ein besonders wehrhaftes Aussehen bekam. Ab dem 8. Jahrhundert n. Chr.
entstand hier eine gewaltige Burganlage, wobei man vermutlich ältere
Befestigungen miteinbezog. Riesige Steine - bis zu 200 Kilo schwer - hat
man dazu von der oberen Halde runtergerollt und dann grob zu einer Mauer
aufgeschlichtet. Eine letzte massive Verstärkung erhielt die Festung zur
Zeit der Ungarnkriege in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Fast
unüberwindlich breit wurde der Wall aufgeschüttet mit weiteren
Annäherungshindernissen, so dass die Pferde des Reitervolks sicher keine
Chance hatten, die Burg zu erobern. Schon zu Fuß hat man seine liebe
Not, über das Steinfeld zu torkeln.
[Im Land der Slawen]
Was nun
den Rauhen Kulm so besonders macht: Hier verschanzten sich im frühen
Mittelalter keine Bajuwaren und auch keine Ostfranken - sondern Slawen,
die ab dem 7. Jahrhundert große Teile der Oberpfalz und Oberfrankens
besiedelten, wo sie auch die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Noch
heute zeugen davon zahlreiche Ortsnamen, etwa diejenigen mit der Endung
»-itz« wie Teublitz oder Köblitz. Besonders zahlreich sind die
slawischen Ortsnamen übrigens in der Landschaft rund um den Rauhen Kulm,
der so genannten Flednitz. Sogar slawischer Kleinadel, der Friedhöfe
anlegte und eigene Kirchen gründete, lässt sich archäologisch in der
Nähe nachweisen. Von einem eigenständigen slawischen Staat kann man
allerdings nicht sprechen. Die Bewohner waren eingebunden in das
Fränkische - später Deutsche - Reich, egal ob sie sich als Franken oder
Slawen sahen. Man kann also gewiss den Rauhen Kulm als eine zentrale
Slawenfestung bezeichnen, in den sich die Bevölkerung aus den
umliegenden Dörfern in Kriegszeiten zusammen mit ihrem Vieh zurückziehen
konnte. Daneben gab es wohl auch eine ständige Besatzung.
[Sensationeller Fund eines
Missionskreuzes]
Ein
neues Schlaglicht auf die Bedeutung dieses Platzes zeigte sich gegen
Ende der letztjährigen Grabungskampagne. Erstmals begannen die
Archäologen, auch an dem oberen Wall zu graben, über dessen Alter
bislang noch wenig bekannt ist. Zunächst mussten die Steine von
niederem Buschwerk befreit werden. Große Abschnitte der oberen
Befestigungsanlage sind völlig überwuchert. Als man bereits den
Abschluss der Grabungen vorbereitete, entstand plötzlich Aufruhr in der
Grabungsmannschaft: Ein winziges Kreuz aus Eisen - vielmehr Blei wie
sich später herausstellte - war beim Aussieben der Erde gefunden wurde.
Zunächst Ratlosigkeit bei den Studenten. »Aha, das eiserne Kreuz ...«.
Nachdem jedoch Hans Losert - seit langem der Experte für die Zeit der
Slawen in Bayern -das wenige Zentimeter große Kreuz in die Hände bekommt,
geht ein Aufschrei durch die Menge: »Ein Missionskreuz, i werd narrisch,
das ist ein slawisches Taufkreuz!« Sein Enthusiasmus greift über.
Schnell ist eine Nadel zur Hand, um zu sehen, ob man das Kreuz mit einer
Schnur durch das kleine Loch noch immer am Hals tragen könnte. Es
funktioniert. Zur Taufe hätten die Täuflinge ein solches Missionskreuz
als Geschenk erhalten. Im 8. oder 9., vielleicht auch noch im 10.
Jahrhundert muss das gewesen sein, als die Missionare aus den
kirchlichen Zentren - hier vermutlich Regensburg - ausströmten, um die
heidnischen Völker zu bekehren. In Süddeutschland gibt es nur noch ein
ähnliches Exemplar (ein Lesefund aus der Fränkischen Schweiz), ein paar
weitere aus Tschechien und der Slowakei. Kein Student oder Professor,
sondern ein Gymnasiast aus Bayreuth hat den bedeutendsten Fund auf dem
Rauhen Kulm gemacht: Der 16-jährige Schüler Karl Oßwald, der erstmals an
einer Grabung teilnahm. Freudestrahlend präsentiert er das gute Stück.
Sein Finderglück wurde bei der Grabung übrigens sprichwörtlich: »Das hat
schon wieder der Karl g'funden.«
[Missionare im Slawenland]
Losert
und Szameit halten es nicht für ausgeschlossen, dass der Rauhe Kulm für
die Missionierung gerade deshalb so wichtig war, weil sich hier ein
vorchristliches slawisches Heiligtum befand. Gerade solche »heidnischen«
Zentren waren oft das erste Ziel christlicher Missionare, um die
Bevölkerung vom falschen Glauben abzubringen. Als Zeichen des Sieges des
Christentums wurde dann meist an Stelle des Heiligtums eine Kirche
errichtet. So könnte sich auch auf dem Gipfel des Kulm damals eine
Kirche befunden haben, womöglich an der höchsten Stelle, wo sich heute
der Aussichtsturm befindet, vielleicht aber auch an einer anderen Stelle
mit weitem Blick ins Land. Dafür spricht auch der Sichtbezug zum
Barbaraberg knapp fünf Kilometer südlich des Kulm. Dieser im Vergleich
zum Rauhen Kulm unauffällige niedere Berg liegt auf einer exakten
Nord-Süd-Achse zu seinem überragenden Nachbarn. Auf dem Barbaraberg
wurde im 10. Jahrhundert ein slawischer Friedhof angelegt mit zum Teil
reichen Beigaben - »die Bestatteten haben hun
dertprozentig zum Rauhen Kulm gehört« , ist sich Losert sicher. Um das
Jahr 1000 errichteten die Bewohner am Rande des Friedhofs eine Kirche.
Bei Grabungen zwischen 1992 und 1995 konnten Friedhof und Kirche
freigelegt werden (Lit.: Anja Heidenreich, Ein slawischer Friedhof mit
Kirche auf dem Barbaraberg im Landkreis Neustadt/Waldnaab, 1998). Nach
Ansicht von Hans Losert kann der Bezug zwischen Barbaraberg und Rauhem
Kulm kein Zufall sein.
»Da hat
man wahrscheinlich eine kosmologische Linie, nach der man Jahreszeiten
bestimmt. Man hat das für kosmologische Vorstellungen benutzt, das
gibt's immer wieder, gerade im Slawischen, dass man so Landschaftspunkte
miteinander verbunden hat. Der Friedhof liegt in extremer Randlage auf
dem Barbaraberg. Den hat man so gewählt, dass er genau eine
Nord-Süd-Achse mit dem Kulm hatte.«
Also
eine Himmelslinie zweier slawischer Kultplätze (für welche Gottheit?),
der dann eine Bezugslinie zweier Kirchen folgte? Vielleicht findet sich
ja die mutmaßliche Kirche auf dem Kulm noch. Denn die Grabungen gehen
die nächsten Jahre weiter, sie sind Teil des Forschungsprojekts »Die
Oberpfalz und ihre Nachbarregionen im frühen Mittelalter«.
In Zukunft wird übrigens auch ein Teil der
frühmittelalterlichen Mauer wieder aufgebaut, zusammen mit einem
Blockbau des 10. Jahrhunderts, in welchem der Besucher dann eine
Dokumentation zur Geschichte, zur Geologie und zur Botanik des
Vulkankegels besichtigen kann." Roland Gschlößl
[Leseprobe aus
Bayerische Archäologie Heft 7/8 2008 S. 66- 69 (
Zwischen-überschriften durch den Bearbeiter) mit freundlicher
Genehmigung durch Herrn Markus Tremmel]
Abb. 7
Blick in die Flednitz von Süden
mit Rauhem Kulm,
Kloster Speinshart und Barbaraberg. Historische Ansicht von 1825
[Kemnath 1000 Jahre und mehr ..., S. 79, Abb. 17]
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Mehr zum Missionskreuz
Abb. 1 (Ausschnitt)
Ein 16-jähriger Schüler findet ein bedeutendes
Zeugnis für die Christianisierung der Slawen
in der nördlichen Oberpfalz.
Abb. 2
»I werd narrisch - ein slawisches Missionskreuz!«
Große Aufregung auf dem
Rauhen Kulm, als der Gymnasiast Karl Oßwald (ganz rechts) kurz vor dem
Ende der Grabung den sensationellen Fund macht.
Die Grabungsleiter Erik Szameit (1.) und Hans Losert
(2. v. l.) sowie die Grabungsteilnehmer sind begeistert.
Abb. 3
Studenten vermessen die Wallanlagen auf dem
Rauhen Kulm.
Abb. 4
Riesige Basaltsteine hatten die damaligen Herren der Burg vom oberen
Geröllfeld heruntergerollt, um damit die Befestigung [den unteren
Ringwall] zu errichten.
Abb. 5
Grabungsschnitt des Walles auf dem Gipfelplateau.
Deutlich ist die innere Front der Mauer zu erkennen.
[Foto: D. Sch. -
August 2008]
Leben am Vulkan - der Rauhe Kulm (Abb. 6)
.
Abb.
8
Die Flednitz, das Gebiet um den
Rauhen Kulm
an der oberen Heidenaab [Kemnath 1000 Jahre
und mehr ..., S. 78, Abb. 16]
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Der Barbaraberg - ein slawischer Friedhof
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