Ein merowingerzeitliches
Brandgräberfeld
östlich-donauländischer Prägung bei Großprüfening,
Stadt Regensburg
Die unmittelbar bevorstehende Bebauung des gut 10 ha
großen Neubaugebietes »An den Klostergründen« in Großprüfening im
äußersten Westen der Stadt Regensburg direkt gegenüber der Naabmündung
in die Donau machte in den Monaten August bis November 2003
archäologische Sondagen bzw. Ausgrabungen notwendig. Schon die Tatsache,
dass sich nur wenige hundert Meter nordwestlich davon das bekannte
römische Kleinkastell befindet, an dessen Vicus das Baugebiet
unmittelbar angrenzt, ließ das Vorhandensein vieler Befunde und Funde
erwarten. Zudem tangiert ein aus Luftbildern bekannter
hallstattzeitlicher Herrenhof, in dessen Nachbarschaft auch Grabhügel zu
sehen sind, die Westgrenze des Baugebietes, sodass auch mit Resten der
zugehörigen eisenzeitlichen Siedlung und/oder Nekropole zu rechnen war.
[Opfer der Erosion]
Die vom Amt für Archiv und Denkmalpflege der Stadt Regensburg
durchgeführten Untersuchungen erfassten knapp 2 ha des Gebietes. Die
teils lediglich 0,2 m starke Humusdecke und die Befundtiefe von meist
nur noch etwa 0,3 m sprechen dafür, dass bereits viel archäologische
Substanz der Erosion und intensiven landwirtschaftlichen Nutzung zum
Opfer gefallen ist. Es wurden 148 Befunde ergraben, bei denen es sich
überwiegend um (Pfosten-) Gruben, meist ohne Funde, handelt, die keinen
Grundriss ergeben. Acht Kreisgräbchen (Breite bis 0,3 m, Durchmesser
3,6-5,9 m) waren offenbar Reste von Grabhügeln, wobei die Hügel selbst
mit den Bestattungen bereits wegerodiert und nur noch die teils
lediglich 2 cm tiefen Gräbchen erhalten waren. Eine genauere Datierung
ist leider nicht möglich, da keines von ihnen aussagekräftige Funde
enthielt. Eventuell sind sie Reste der zum hallstattzeitlichen Herrenhof
gehörigen Nekropole. Die erwartete Flut vorgeschichtlicher und römischer
Befunde blieb jedenfalls aus.
[Zwölf Brandbestattungen]
Umso überraschender war die Entdeckung von zwölf
Brandbestattungen im Norden der Grabungsfläche. Die weitgehend
erhaltenen Gefäße der drei Gräber l, 8 und 9 weisen diese als
Urnenbestattungen aus, einige Scherben enthielten die Gräber 3, 10 und
11. In den Brandschüttungsgräbern 2, 4, 5, 6, 7 und 12, die sich als
wenig eingetiefte Gruben abzeichneten, hatte sich keine Keramik
erhalten. Unmittelbar nach dem Humusabtrag war innerhalb der Verfärbung
von Grab l (Abb. 113,1-3) ein vom Pflug umgerissenes und zerbrochenes
Gefäß zu erkennen, in dem, ursprünglich mit der Mündung nach unten, ein
kleinerer unbeschädigter Becher stand. In den geringen Spuren von
Leichenbrand außerhalb beider Gefäße lagen der Rest einer Bärenkralle
(für die freundliche Bestimmung sei Dr. P. Schröter sowie Prof. Dr. J.
Peters und Dr. N. Pöllath, Staatssammlung für Anthropologie und
Paläoanatomie München, gedankt), vielleicht von einem Bärenfell, in das
der Tote gehüllt war, und ein eiserner Angelhaken.
Das nur noch etwa 6 cm tiefe Brandschüttungsgrab 2 (Abb. 113,4-8)
enthielt zwei bronzene Brillenspiralen mit eingehängten Ringchen, eine
davon teilweise verbrannt, einen trapezförmigen Bronzeblechanhänger und
vier verschmolzene Miniaturperlen. In dem ebenfalls durch den Pflug
stark in Mitleidenschaft gezogenen, noch etwa 0,15m tiefen
Brandschüttungsgrab 3 lagen neben kleinen Silberklumpen ein Eisenniet,
ein bronzenes Gürtelbeschläg (Abb. 113,12) mit einem punzierten Kreuz
und zwei rückseitigen Nietösen sowie Keramiksplitter eines Gefäßbodens.
Auch von den fundleeren Brandschüttungsgräbern 4 und 5 war nur noch die
Sohle erhalten. Grab 6 (Abb. 113,9-11) enthielt eine unbeschädigte
bronzene Gürtelschnalle mit trapezförmigem Schild und eine runde sowie
eine durch Brand leicht verformte schildförmige Haftel, jeweils mit
rückseitiger Nietöse.
Im Westen des noch 0,1-0,15 m tiefen, etwa 2,7 x 1,6 m großen
Scheiterhaufenbereiches von Grab 7 fanden sich neben Leichenbrand eine
Perle aus zusammengerolltem Bronzeblech (Abb. 113,13) und ein kleines
Bronzefragment. Die Urnengräber 8 (Abb. 113,14-16) und 9 (Abb. 113,17)
lagen gemeinsam innerhalb einer größeren Verfärbung. Im Leichenbrand von
Grab 8 steckten der Bronzeniet eines Schilds und ein Messer, Grab 9
konnten einige kleine verbrannte Bronze- und Silberblechreste zugeordnet
werden. Aus Grab 10 stammt außer Leichenbrand nur das Randstück eines
Topfes (Abb. 114,1). Zu Grab 11 (Abb. 114,2-8) gehörten ein
Eisenfragment, eine Messerspitze, Fragmente einer verbrannten
Bronzepinzette, Nägel und verschmolzene Beschlagbleche sowie die
Randstücke zweier Tongefäße, in Grab 12 hatten sich keine Funde
erhalten.
[Datierung in die
Merowingerzeit]
Die wenigen vorhandenen Trachtbestandteile datieren
die Brandbestattungen von der zweiten Hälfte des 6. bis spätestens ins
erste Viertel des 7. Jahrhunderts. Die farblose Doppelperle und drei
blaue Röhrchen in Grab 2 (Abb. 113,7.8) sind kennzeichnend für die
ältere Merowingerzeit, während der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts
kamen sie aus der Mode. Die Brillenspiralen aus Bronzedraht (Abb.
113,4.5) und ein ursprünglich hier eingehängtes Bronzeblech mit zwei
Reihen kleiner Buckel (Abb. 113,6) gehörten ebenfalls zum Collier.
Derartige trapezförmige Anhänger sind in bajuwarischen Gräberfeldern
gelegentlich nachzuweisen, in der Nekropole von
Straubing-Bajuwarenstraße immerhin in acht Bestattungen der zweiten
Hälfte des 6. und des ersten Drittels des 7. Jahrhunderts.
Das sehr gut ausgestattete Frauengrab 257 der Zeit um 550/60 enthielt
neben einer Vierfibeltracht mit Analogien im pannonisch-langobardischen
Bereich ein Collier mit wenigstens fünf trapezförmigen Anhängern.
Zahlreichere Vergleichsbeispiele stammen jedoch aus Pannonien. Dies gilt
noch mehr für Brillenspiralen, die dort ein Leitfossil für Gräberfelder
der frühen Awarenzeit darstellen. Die Schnalle mit trapezförmigem Schild
und die beiden Hafteln (Abb. 113,9-11) gehörten zu einem für
Männergräber des mittleren Drittels des 6. Jahrhunderts von Pannonien
bis Gallien typischen Gürtel. Etwas jünger ist das Beschlag (Abb.
113,12) eines mehrteiligen Gürtels der Zeit um 600 oder des frühen 7.
Jahrhunderts. Das punzierte Kreuz spricht dafür, dass der Gürtel
ursprünglich für christliche Kundschaft hergestellt wurde, eine Herkunft
aus dem randbyzantinischen bzw. mediterranen Bereich ist möglich.
Der unrestaurierte, aber dennoch vorzüglich erhaltene Angelhaken (Abb.
113,1), eine sonst sehr ungewöhnliche Beigabe, kennzeichnet den in Grab
l Bestatteten als Person, die sich dem Fischfang widmete. Deutlicher
kann der Bezug zum Fluss - zur Donau - nicht ausfallen. Die kleinen
Bronzenägel in Grab 11 (Abb. 114,4.5) belegen, dass hier ein mit
Metallblechen beschlagenes Holzgefäß vorhanden war. Die zugehörigen,
ursprünglich wohl mit Flechtbändern und/oder Stil II verzierten Bleche
sind allerdings so stark verbrannt, dass kein Dekor mehr zu erkennen
ist. Formen sowie Ton- und Oberflächenbeschaffenheit der stets
gewülsteten und nicht nachgedrehten Keramik von mäßig hartem Brand sind
nicht ganz einheitlich. Grab l enthielt ein tonnenförmiges Gefäß mit
wenig ausbiegendem Rand, grober Quarzsandmagerung und brauner bis
schwarzer Oberfläche (Abb. 113,2) sowie ein kleineres Töpfchen mit
Schrägkerben auf dem Rand, flachem Achsabdruck am Boden, reichlicher
grober Quarzsandmagerung und hell ockerfarbener Oberfläche (Abb. 113,3).
[Tonnenförmige Grabgefäße]
Die schweren bauchigen Gefäße in Grab 8 (Abb. 113,16) und 9 (Abb.
113,17) mit kaum ausladendem Rand und dickem Boden sind ebenso wie die
Randstücke der Bestattungen 10 (Abb. 114, l) und 11 (Abb. 114,7.8) grob
gemagert und besitzen eine schmutzig ockerfarbene bis schwarze
Oberfläche. Im Gegensatz zu den meisten Metallfunden fehlen für die
Keramik, von der tonnenförmigen Urne in Grab l abgesehen, Analogien aus
bajuwarischen, alamannischen oder ostfränkischen Gräbern. Gewisse
Ähnlichkeit besteht allenfalls mit einigen Grabgefäßen aus dem
sächsischen Bereich. Gute Vergleichsbeispiele liegen dagegen aus dem
mittleren Donaugebiet, Westungarn bzw. Pannonien, der Slowakei oder
Südmähren, aber auch dem mittleren Elbegebiet vor. Sie gehören dort in
frühawarische oder frühslawische Zusammenhänge und kommen sowohl in
Brand- wie Körperbestattungen als auch Siedlungen vor.
Die genannten Regionen waren seit den 560er Jahren nachhaltigen
Veränderungen ausgesetzt. Das Ringen um Pannonien zwischen Gepiden,
Langobarden und Ostrom wurde 568 durch einen Staatsvertrag zwischen
Awaren und Langobarden zugunsten der Awaren entschieden. Spätestens
jetzt endete hier, aber auch im Raum von der mittleren Elbe bis nach
Mähren die germanische Vormachtstellung. Slawische und awarische Kultur
vermischten sich in Pannonien mit der der autochthonen und verbliebenen
romanisierten oder germanischen Bevölkerung. Zahlreiche ethnisch
gemischte Köpergräberfelder des letzten Drittels des 6. und 7.
Jahrhunderts in Westungarn zeugen von diesem Prozess. Die Ausweitung und
Festigung des awarischen Machtbereiches führte aber auch zu
Veränderungen innerhalb slawischer Siedlungsgebiete, in deren Verlauf
sich letztere von der awarischen Oberhoheit zu lösen versuchten. In den
Jahren 592 bis 610 sind zunächst Auseinandersetzungen zwischen Slawen
und Bajuwaren, in den 620er/630er Jahren zwischen Franken unter König
Dagobert I. und Slawen unter
Samo überliefert, die
631 in eine Niederlage der Franken bei der nicht eindeutig lokalisierten
Wogastisburg mündeten. In diese nur durch wenige Schriftquellen
erhellten historischen Zusammenhänge gehören die Brandgräber von
Großprüfening in Sichtweite der antiken Mauern von Regensburg.
[Herkunft aus dem mittleren
Donaugebiet]
Die Bestattungssitten und die Keramik, aber auch die
trapezförmigen Bleche und Brillenspiralen (Abb. 113,4-6) sprechen für
eine Herkunft der hier Beerdigten aus dem mittleren Donaugebiet. Ein
engerer Zusammenhang mit den Ereignissen um 568 ist durchaus möglich.
Vielleicht wurden hier Personen bestattet, die vor der Ausweitung
awarischer Macht nach Westen auswichen. Wegen der Verbrennung der Toten
dürfte es sich um Angehörige einer Gruppe handeln, in der slawische
Kultureigenschaften überwogen. Die Lage in unmittelbarer Nähe zu
Regensburg schließt aus, dass dieser Bestattungsplatz ohne ausdrückliche
Erlaubnis jener Personen gewählt wurde, die das alte Kastell als ihren
Besitz betrachteten. Möglicherweise handelte es sich daher um Verbündete
der Bajuwaren, vielleicht mit föderatenartigem Status, deren Nachkommen
als Naabwenden seit dem 7. Jahrhundert die mittlere und nördliche
Oberpfalz besiedelten. Dafür spricht ein bauchiges Gefäß mit gekerbtem
Rand aus der frühmittelalterlichen Nekropole von Burglengenfeld, das
aufgrund der Tonbeschaffenheit einheimisch ist, dessen Form aber
weitgehend den Urnen in Grab 8 und 9 (Abb. 113,16.17) entspricht.
Die Bedeutung dieses kleinen Bestattungsplatzes für die bairische
Landesgeschichte und benachbarte Regionen kann gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden, ergibt sich doch hier die Möglichkeit,
frühslawische Urnenbestattungen genauer zu datieren und eine konkretere
Antwort auf die Frage nach dem Herkunftsgebiet jener Gruppen zu finden,
die uns später als Naab-, aber vielleicht auch Main- und Regnitzwenden
überliefert sind. Die Diskussion um die Beziehungen der Bajuwaren nach
Osten und um die gelegentlichen Brandbestattungen vorwiegend des 7.
Jahrhunderts in merowingerzeitlichen germanischen Nekropolen, etwa von
Dittenheim, Hellmitzheim, Kleinlangheim, Schretzheim oder Westheim, wird
durch die Nekropole von Großprüfening sicher neu angeregt.
Wolfgang Eichinger und Hans Losert
[Das
archäologische Jahr in Bayern, 2003, S. 98 ff.]
Literatur
G. Fusek, Slovensko vo vcasnoslovanskom obdobi. Archaeologica Slovaca
Monographiae. Studia Institut! Archaeologici Nitriensis Academiae
Scientiarum Slovacae 3 (Nitra 1994).
B. Krüger, Dessau-Mosigkau. Ein frühslawischer Siedlungsplatz im
mittleren Elbegebiet. Dt. Akad. Wiss. Berlin, Sehr. Sektion Vor- u.
Früh-gesch. 22 (Berlin 1967).
B. Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland. Katalog
(Nord- und Ostteil). Veröff. Landesmus. Vorgesch. Halle 29 (Berlin
1976).
Technische Grabungsleitung/Grabungsdokumentation W. Eichinger,
Amt für Archiv und Denkmalpflege der Stadt Regensburg.
=> Zur
'terra sclavorum' (nach Hans Losert)
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'terra sclavorum' (nach Hans Losert)
Abb.1
Gefäße aus dem Gräberfeld von Großprüfening
in der Landesausstellung (Mai bis Okt.
2007) in Zwiesel:
"Bayern und Böhmen", links Topf aus Grab 9.
Abb. 2
113 Großprüfening.
1-3 Grab 1; 4-8 Grab 2; 9-11 Grab 6; 12 Grab 3; 13 Grab 7;
14-16 Grab 8; 17 Grab 9. Maßstab 1 : 2 (1. 4-15); 1 : 3 (2.3.16,17).
Abb. 3
114 Großprüfening. 1 Grab 10; 2-8 Grab11.
Maßstab 1 : 1 (4-6); 1 : 2 (2,3); 1 : 3 (1,7,8).
Abb.4
Wellenbandverzierter Randscherben
aus dem Gräberfeld von Großprüfening
in der Landesausstellung (Mai bis Okt.
2007) in Zwiesel:
"Bayern und Böhmen"
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Abb. 6
Als
Parallele zu den Gefäßen aus Grab 8 und 9 von Großprüfening wird
hier der Randscherben
eines Gefäßes von Weismain,
Lkr. Lichtenfels aus dem Randbereich des frühmittelalterlichen Friedhofes
abgebildet. Bauchdm. ca. 23 cm. [Foto: D. Sch. - Zeichnung: Hans Losert].
Bei einer
Durchsicht frühmittelalterlicher Keramik aus dem Bereich des
Reihengräberfeldes von Weismain
konnte Hans Losert im Frühjahr 2004 dieses Fragment als
Teil eines Gefäßes des 'Prager Typus' ansprechen.
Am
Randes des Weismainer Friedhofes wurde dieser Randscherben eines frühslawischen
Gefäßes 1974 am östlichen Rande des Weismainer Friedhofes bei
Erdarbeiten für ein Mauerfundament aufgefunden. Hiermit handelt es sich um einen sehr frühen Nachweis slawischer
Keramik in Oberfranken.
=> Zur
'terra sclavorum' (nach Hans Losert)
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