Die "terra sclavorum"
"...ut in terra sclavorum, qui sedent inter Moinum
et Radentiam fluvios, qui vocantur Moinvinidi et Radanzvinidi
..." (ausführliches Zitat weiter unten)
Die neuesten Übersetzungen der lateinischen Quellen (MGH Leges
V, Formulae imperiales, pag. 317 s., a. 826-830) hat Joseph Schütz
(1994: 212-216) verfasst. Mit der Problematik der slawischen
Missionskirchen beschäftigten sich etwas kontrovers Ferdinand
Geldner (1986) und Freiherr von Guttenberg (1927). Einigermaßen
sicher lokalisiert sind nur die Missionskirchen Amlingstadt und Seußling,
beide südlich von Bamberg unweit der Regnitz.
Radulf ist ein nach den Ereignissen um die Wogastisburg (631) vom
fränkischen König eingesetzter thüringischer Herzog, der aber
bald gegen den fränkischen König gerichtete Interessen verfolgte
(siehe unten). Mit der ersten Nennung der terra sclavorum,
mindestens fünf Generationen später hat dies nur indirekt zu tun.
Auch dazu kann man getrost auf Joseph Schütz (1994: 209-216) mit
Quellentext und Übersetzung verweisen.
Literatur
hierzu:
GELDNER, Ferdinand 1986: Das Problem der vierzehn Slavenkirchen
Karls des Großen im Lichte der bisher unbeachteten Dorsalvermerke
der Urkunden Ludwigs des Deutschen (845) und Arnolfs (889).
Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters. 42. Band:
192-205. Köln, Wien.
GUTTENBERG, Erich Freiherr von 1927: Die Territorienbildung am
Obermain. Historischer Verein Bamberg. Bericht 79. Bamberg.
SCHÜTZ, Joseph 1994: Frankens mainwendische Namen. Geschichte
und Gegenwart. Philologia et litterae Slavicae. Band II. München.
=>
Weitere Literatur zum
Mittelalter [H. Losert]
Samo und sein
Königreich
623/624 Der fränkische Chronist
Fredegar (vor 658) berichtet, daß der fränkische Kaufmann Samo zu
Slawen zog (in Sclavos coinomento Winedos), um mit ihnen
Handel zu treiben (ausführlich Brachmann 1990 und Schütz 1992,
1994).
Hier wird zwischen Slawen und Wenden differenziert. Nach Fredegar
stammte Samo de pago Senonago. Gemeint sind wohl die Gegenden
um die Gewässer Senne und Sennette im hessischen Hennegau (Schütz
1992: 48). Wegen Herkunft aus dem Untermaingebiet ergibt sich als
naheliegendste Handelsroute nach Osten zu Slawen der Main (so auch
Schütz 1992: 49, 1994: 19). Auf Seite der Wenden, die ihn dafür
623/624 zum König erhoben, kämpfte Samo erfolgreich gegen Awaren (Winidi
cernentes utilitatem Samones, eum super eligunt regem, ubi XXX et V
annos regnavit feliciter), unter deren Herrschaft Slawen als bilfulci
(nach Schütz (1994: 19) germanisch für Schutzbefohlene) standen
und denen sie tributpflichtig waren (Schütz 1992: 50).
631/632 Nachdem weitere fränkische Händler,
die in das Reich Samos zogen, von Slawen getötet und ihrer Waren
beraubt wurden (Schütz 1992: 56), kam es zu kriegerischen
Auseinandersetzungen, die wohl nicht zuletzt auf wirtschaftlichen Gründen
beruhten.
Als Gesandte König Dagoberts I. (um 608-639) bei Samo
erschienen, um diese Vorgänge aufzuklären, machte Samo gegenüber
dem dümmlichen (stultus) Legaten die Bemerkung: Sowohl
das Land, das wir innehaben, gehört Dagobert als auch wir gehören
ihm (Schütz 1994: 20). Samos Königreich stand also, nachdem
sich die Wenden von Awaren emanzipiert hatten, in rechtlicher Abhängigkeit
vom fränkischen Reich. Dagobert I. stellte daraufhin drei Heere aus
Alamannen, Franken und Langobarden auf und fiel mit diesen in das
Wendengebiet ein. Während Alamannen (unter Chrodobert) und
Langobarden siegreich blieben, gelang es den Wenden, das
austrasische Heer beim castrum Wogastisburc (eigentlich Vuogastisburc,
zur Problematik der Lokalisierung siehe unten) vernichtend zu
schlagen. Ein im Jahr darauf geplanter Feldzug Dagoberts gegen
Slawen wurde vorzeitig abgebrochen (Butzen 1989: 248). Daraufhin
konnten Wenden in die wohl relativ dünn besiedelten Gebiete an der
östlichen Peripherie des Frankenreiches einsickern (Schütz 1994:
29). Eigenartigerweise werden Bajuwaren, die ja noch eine Generation
vorher besonders intensiv in Auseinandersetzungen mit slawischen
Verbänden verwickelt waren, hier nicht erwähnt, die von Kahl
(1985: 185) formulierte Frage ob nicht wenigstens Teile der
Baiern damals mit Samo im Bunde waren, ist berechtigt.
Vielleicht waren die Geschehnisse um die Wogastisburg für
Nordostbayern von größerer Tragweite als die 100 Jahre vorher
erfolgte Zerstörung des Thüringerreiches. Fredegar spricht in
diesem Zusammenhang auch von seit alters her bestehender Abhängigkeit
der Sorben (Surbii) unter dem dux Dervanus von den
Franken. Die hier bereits als organisierter Stamm bezeichneten
Slawen lösten sich nach der fränkischen Niederlage an der Wogastisburg
von deren Oberhoheit und schlossen sich Samo an (Schütz 1994: 29).
633/634 Fredegar überliefert
sorbische Übergriffe in die unter fränkischer Oberhoheit stehende Thoringia.
Dagobert I. gab die Herrschaft über das Gesamtreich auf und
machte seinen Sohn Sigibert III. (König von Metz 633-656) zum
austrasischen König (Störmer 2004: 19).
Zur Abwehr der Slawen wurde in Thüringen, zu dem wohl auch
Mainfranken bis zum Grabfeld gehörte, ein fränkischer Amtsherzog
eingesetzt. Radulf, der erste namentlich bekannte dux Thoringiae,
war fränkischer Herkunft (Butzen 1989: 251) und konnte die Sorben
nach zunächst wechselvollen Kämpfen besiegen. Seine dadurch
gewachsene Machtstellung gegen die Franken unter Sigibert III.
festigte er dann durch ein Bündnis mit den Sorben (Dušek 1983: 13,
Brachmann 1990: 27). Eine Gleichsetzung mit Hruodi, dem ersten
bekannten würzburgischen Herzog, lehnt Störmer (2004: 19) ab.
641 Radulf entfesselte mit dem
Agilolfinger Faro einen Aufstand gegen Sigibert III.
Während Faro in der Schlacht im rechtsrheinischen Gebiet fiel,
konnte sich Radulf in einer mit hölzernen Stämmen gesicherten
Feste oberhalb des Unstrutufers verschanzen und siegte. In der Folge
fielen weitere Herzöge von Sigismund ab und ermöglichten so schließlich
einen Sieg über ein von den Hausmeiern Grimoald I. und Adalgisel
geführtes fränkisches Heer rechts der Unstrut (Wagner 2001: 152).
Die "terra sclavorum" und die 14 'Slawenkirchen'
Um 793/794 Karl der Große
beauftragte den Würzburger Bischof Bernwelf (768/769-800), bei den
inzwischen christianisierten Main- und Regnitzwenden 14 Kirchen zu
errichten (Geldner 1986, Schütz 1994: 48-69).
...ut in terra sclavorum, qui sedent inter Moinum et
Radentiam fluvios, qui vocantur Moinvinidi et Radanzvinidi una cum
comitibus, qui super eosdem sclavos constituit erant, procurrassent,
ut inibi sicut in ceteris christianorum locis ecclesiae
construerentur, quatenus ille populus noviter ad christianitatem
conversus habere potuisset, ubi et baptismum perciperet et
praedicationem audiret...
. Die Urkunde ist nicht erhalten, vom Vollzug berichtet eine
Abschrift Ludwigs des Frommen (* 778, 781 König, 813, Mitkaiser,
814 Kaiser, † 840) der Zeit um 826-830. Aus der Bestätigung von
846 durch König Ludwig dem Deutschen (804-876) und Arnulf von
Kärnten 889 ist zu schließen, daß Bischof Bernwelf und seine
Nachfolger Liutrit (800-803) sowie Egilwart (803-810) der Anweisung
nachkamen. Die Kirchen erhielten zunächst als Wirtschaftsgrundlage
einen mansus
(eine im weitesten Sinne genormte wirtschaftliche Betriebseinheit)
und waren damit zu gering dotiert (siehe unten). Der Würzburger
Bischof Wolfger bat 826-830 daraufhin Ludwig den Frommen, die
Kirchen angemessener auszustatten. Der Kaiser entsprach dem und
übertrug jeder zwei weitere Königshufen zusammen mit den beiden tributarii
(Abgaben). Der Besitzstand von fortan drei mansi wurde
845/846 auf Bitte der Würzburger Bischöfe Gozbald (841-855) und
Arn (855-892) von König Ludwig dem Deutschen und 889 von Arnulf von
Kärnten bestätigt. Aus der Urkunde geht hervor, daß die bekehrten
Main- und Regnitzwenden einem comes (Grafen) unterstellt
wurden (von Guttenberg 1927: 14, Fußnote 63). Dessen Identität ist
allerdings unbekannt, ebenso gibt es für die Grafschaftsverfassung
im Radenzgau im 9. Jahrhundert darüber hinaus nur wenige
Anhaltspunkte.
Main- und Regnitzwenden ('Vinidi')
Vinidi ist von der Bezeichnung Veneti für
einen indogermanischen Ostnachbarn der Germanen übernommen und
wurde auf verschiedene slawische Stämme, wie etwa Böhmen, Slowenen
oder Tschechen sowie Slawen in Norddeutschland, übertragen
(Schwarz, E. 1960: 357). Da hier von einem populus gesprochen
wird, ist entgegen E. Schwarz (1960: 358) von geschlossener
slawischer Bevölkerung auszugehen. Eine entsprechende formelhafte
Formulierung findet sich in den Annales regis franchorum
(Reichsannalen) von 806. Dort heißt es 'in terra sclavorum, qui
sedent super albim fluvium'. Es hat den Anschein, dass im Falle
der Main- und Regnitzwenden geschlossene slawische Siedlungsgebiete
mit zunächst eigener politischer Organisation gemeint sind.
Die Verbreitung christlichen Glaubens in dieser Region setzt voraus,
daß Missionare slawischer Sprache mächtig waren, wie etwa die Freisinger
Denkmäler belegen (zuletzt Pleterski 1996), oder sich
Dolmetscher bedienen konnten.
14 Missionskirchen oder -kapellen
Noch Ende des 9. Jahrhunderts hatten diese Missionskirchen
anscheinend eine Sonderstellung (Geldner 1986: 193). Ihre genaue
Lokalisierung ist, da keine Ortsnamen überliefert sind, schwierig
(zur Forschungsgeschichte Geldner 1986: 195-199). Von Guttenberg
(1927: 17) vermutete die Slawenkirchen in Staffelstein, Scheßlitz,
Baunach (?), Pretzfeld, Hallstadt, Seußling, Mühlhausen,
Wachenroth (?), Lonnerstadt und die restlichen 4-6 nach Westen im
Steigerwald. Die Lokalisierung entspricht hier der Untersuchung von
Geldner (1986), nach der diese nahezu ausschließlich im Radenzgau
lagen. Es handelte sich nach Geldner (1986: 200-201) überwiegend um
capellae und nicht ecclesiae mit Patrozinium Johannes
des Täufers, also nicht unbedingt um Urpfarren oder Kirchen
mit Martinspatrozinium.
Lediglich die Identifizierung der beiden Missionskirchen St. Aegidius
(ursprünglich nach Geldner 1986: 201, Fußnote 48) wohl Johannes
dem Täufer geweiht) in Amlingstadt (Schwarz, K. 1972) und Seußling
(Schütz 1976) südlich von Bamberg galt schon länger als
gesichert, da König Heinrich II. sie 1013 mit der Kirche in
Hallstadt und den zugehörigen sechs Königshufen (... duas
aecclesias, unam in Amelungestat, alteram in Siuselingun cum suis
decimationibus et sex regalibus mansis et mancipiis ad easdem
aecclesias pertinentibus ...) mit Würzburg tauschte (Geldner
1986: 201-202, von Guttenberg 1927: 83, Fußnote 174, Schwarz, K.
1984: 5). Seußling geht nach Schütz (1976, 1994: 62-63) auf einen
slawischen Ortsnamen zurück (zuzeli- Käfer, Gwürm, Getier
etc.). Amlingstadt beruht auf dem germanischen Personennamen Amelunc
(Schwarz, E. 1960: 72), allerdings hat sich im Ortsteil Klebhof (von
chlevu - tall, Grubenhaus) der ältere slawische Name
erhalten (Schütz 1994: 65). Neuerdings zweifelte Schütz (1994:
48-59) daran, daß diese erst um 800 errichtet wurden. Nach seiner
Ansicht begann die kirchliche Organisation und Mission sowie die
Errichtung dieser 14 Kirchen schon unter Pippin dem Jüngeren in
bonifatianischer Zeit (Schütz 1994: 56).
Wahrscheinlich handelte es sich zunächst um Eigenkirchen des mainwendischen
Adels, die genannte Zahl ist vielleicht eine symbolische.
[Diese
Informationen wurden freundlicherweise von PD Dr. Hans Losert zur
Verfügung gestellt.]
Literatur
(1) Edel und Frei –
Franken im Mittelalter – Katalog zur Landesausstellung
2004 in Forchheim
(2) J.
Haberstroh, Ausgrabungen in der Krypta von St. Sigismund von
Seußling,
Gde. Altendorf, Lkr. Bamberg, Oberfranken. In: Das
Archäologische Jahr
in Bayern 1999, S. 96-99)
(3) L. Werther, Kirche - Friedhof - Siedlung. Archäologische Studien
zur
Entwicklung von Seußling (Oberfranken) zwischen
Völkerwanderungszeit
und Spätmittelalter; Bericht der Bayerischen
Bodendenkmalpflege 52. 2011,
181-372 [Ausführliche
Darstellung der Befunde und Fundvorlage (Katalog)
der archäologischen Untersuchungen an der Kirche St.
Sigismund und in der
Flur "Paint" - Siedlungs- und Bauentwicklung]
=>
Ausführliche Literaturliste zum
Mittelalter [Hans Losert]
|
|
=>
Ein Missionskreuz vom
Rauhen Kulm
=> Slawen in
Nordostbayern [Vikingnet
Germany]
=>
Mehr zu Samo [samo.know-library.net]
sowie in =>
Wikipedia
=> Literaturliste
zum Mittelalter [H. Losert]
=>
Slawen am
Obermain: Festvortrag in Kulmbach 2007
[Powerpoint-Präsentation von H. Losert]
=>
950 Jahre: Burgkunstadt im frühen Mittelalter
[PPT-Präsentation von H. Losert im März 2009:13,4 MB]
Karte der slawischen Ortsnamen am Beispiel des
Landkreises Bamberg
[aus: Katalog zur Landesausstellung 'Edel und Frei' - Franken im ..., S. 133]
Frühslawische Siedlungskeramik von Seußling,
Lkr. Bamberg ("Paint")
[Katalog zur Landesausstellung 'Edel und Frei' -Franken im
Mittelalter, S. 132]
Übersichtskarte mit
den Sprengeln der ältesten Pfarreien
im Raume von Bamberg und Forchheim [wohl nach: E. Freiherr von
Guttenberg / A. Wendehorst, Germania Sacrae, Erster Band: Das
Bistum Bamberg, Zweiter Teil: Die Pfarreiorganisation, Berlin
1966]
Die
Pfarreien um Altenkunstadt
[J. B. Müller: Ehemalige Burgstadt Burgkunstadt,
Geschichte am Obermain Band 14 1983/84, S. 11-37.
ders., Burgkunstadt - eine karolingische Burgstadt.
Festschrift zum 60jährigen Bestehen des CHW, 1984]
Abb.
4
Krypta der Pfarrkirche St. Sigismund in Seußling, Grabung 1999,
Grafik: L. Werther
[aus (3), Abb. 44, S. 333]
Herrn PD Dr. Hans Losert von der Universität Bamberg wird für
seine Bereitschaft herzlich gedankt, seine Unterlagen zur Verfügung
zu stellen.
=>
Mittelalterliche Siedlungsgeschichte
in Nordostbayern
[Powerpoint-Präsentation von H. Losert-Hollfeld 2009]
=>
Mittelalterliche Siedlungsgeschichte
in NO-Bayern -2-
[Powerpoint-Präsentation von H. Losert-LIF 10/2009]
=>
Mission und Christianisierung in Nordostbayern
[Powerpoint-Präsentation von H. Losert-BT 02/2009]
=>
Ein
Missionskreuz vom Rauhen Kulm
=>
Slawen am
Obermain [Festvortrag in Kulmbach 2007]
[Powerpoint-Präsentation von H. Losert]
=>
Slawen in
Nordostbayern [Vikingnet Germany]
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