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Mehr zur Entdeckungsgeschichte
Ein oft übersehener
Schatz
Kulmbach besitzt einen Schatz, und die meisten/viele wissen nichts
davon. Er hat sich auf der Plassenburg gut versteckt. Er ist nicht
im Boden vergraben und braucht nicht ausgegraben werden wie
beispielsweise der Pörbitscher Schatz. Dabei ist er eigentlich
nicht zu übersehen. Fast trutzig stellt er sich jedem Besucher in
den Weg, welcher das Landschaftsmuseum Obermain erkunden möchte. Es
ist die größte Landkarte des Mittelalters, eine Kopie der Weltkarte
aus dem Kloster Ebstorf bei Lüneburg. Mit einem Durchmesser von etwa
3,6 Metern und einer Fläche von über 10 Quadratmetern handelt es
sich bei der Ebstorfer Weltkarte um die größte und inhaltsreichste
Weltkarte des Mittelalters. Zwischen 1230 und 1250 (spätestens um
1300) entstanden, gehört sie zu dem in dieser Zeit vorherrschenden
Typus einer Radkarte.
Eine von vier Kopien
Von vier Nachbildungen dieser Weltkarte, die es insgesamt
gibt, wurde 1962 eine dieser vier Kopien von Max Hundt für die Stadt
Kulmbach angekauft. Auf der Weltkarte war nämlich als einzige Burg
die Plassenburg abgebildet ist. Das Original der Ebstorfer Weltkarte
war 1943 im Staatsarchiv in Hannover verbrannt. Zum Glück hatte
man bereits um 1890 im Lichtdruck-verfahren eine verkleinerte
Kopie angefertigt worden, die später von Hand nach dem Original
koloriert wurde. Die Kulmbacher Kopie ist eine von vier
Reproduktionen, welche von 1950 bis 1955 im Gerbdruckverfahren auf
Ziegenlederpergament übertragen wurden (30 Ziegenhäute wurden
hierfür benötigt). Eine dieser Reproduktionen befindet sich heute im
Kloster Ebstorf, die zweite in Lüneburg; die dritte wurde von der
Firma Reemtsma dem griechischen Königspaar geschenkt.
Entdeckung
der 'Ebstorferin'
Das Original, welches 1943 in der Landesbibliothek Hannover
verbrannte, wurde um 1830 in einem "feuchten Gemach", einer
fensterlosen Abstellkammer, zusammen mit Altardecken und
Prozessionsgerät "aus katholischer Zeit", im
Benediktinerinnenkloster Ebstorf bei Lüneburg aufgefunden.
Während leere, weiße Flächen am linken Rand von Mäusefraß stammen,
hatte ein "unbekannter Frevler" rechts oben ein Stück mutwillig
herausgeschnitten. Auch ist durch die unsachgemäße Lagerung der
Pergamentrolle ein Teil im Nordwesten Europas unleserlich geworden.
Ein
'Orientierungs'problem
Wer sich auf der Karte orientieren und diese näher
entschlüsseln möchte, hat ein Problem. Entgegen der Erwartungen der
Menschen von heute liegt oben nicht Norden sondern Osten. Das war
auf mittelalterlichen Weltkarten durchaus üblich, weil nämlich
glaubte, dass das Heil von Osten gekommen sei (‚ex oriente lux’).
Die Radkarte ist als ‚mappa mundi’ also geostet, das Haupt Christi
(oben) liegt im Osten, die Füße im Westen. Rechts ist also Süden,
links demnach Norden. Wer das weiß, kann sich nun daranmachen, die
Karte zu genauer zu erforschen.
Jerusalem als
Mittelpunkt und Herz der Welt
Dass Jerusalem in der Mitte der Karte liegt, sozusagen im Herzen
Christi, welcher die ganze Welt in seinen Händen hält, ist nicht zu
übersehen. Mit glänzendem Gold hervorgehoben, gibt sich die ‚hochgebaute
Stadt’ als geistliches Zentrum der Welt zu erkennen.
"Jerusalem, die hochheilige Hauptstadt Judäas,
liegt 23 Meilen von Sychem, 16 von Dispoli, 16 von Hebron, 14 von
Jericho, 4 von Bethlehem, 16 von Bersabee, 24 von Askalon,
ebensoviele von Joppe (Jaffa), 16 von Ramatha, 6 von Emaus, 4 von
den Bergen, zu denen Maria eilte. Diese weltberühmte Stadt überragt
als die erste aller Städte die ganze Welt, weil hier die Rettung des
Menschengeschlechts durch Tod und Auferstehung des Herrn vollbracht
worden ist, wie der Psalmist sagt: 'Er ist unser König vor aller
Zeit etc.'. Diese große Stadt umschließt das Grab des Herrn, wonach
der ganze Erdkreis begierig verlangt, weil der Sieger über den Tod
es durch seine Auferstehung verherrlicht hat. So sagt Sedulius:
Nachdem dieser Ort den vortrefflichen Schatz des vom Kreuz
abgenommenen Leichnams aufnahm und damit ausgezeichnet war, so wurde
sie noch mehr erhoben und geheiligt durch seine Auferstehung.“
Bethlehem – Ochs und
Esel
Unter dem Stern oberhalb von Bethlehem ist zu lesen:
“Bethleem civitas. Cognouit bos et asinus presepe
domini sui”. Das heißt übersetzt: ‘Die Stadt Bethlehem.
Ochs und Esel erkannten die Krippe ihres Herrn’ (Jes. 1, 3). Im
sogenannten Pseudo-Matthäus, einem Evangelium, das die Kirche nicht
anerkannt hatte, steht: „Und Ochs und Esel beteten ihn an. Da
erfüllte sich, was durch den Propheten Jesaja verkündet ist, der
sagte: Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe
seines Herrn. Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine
Einsicht.“ Oben ist die Stadt Jericho, links neben Bethlehem ist
die Stadt Arimathia zu erkennen, darunter Hebron. Unterhalb von
Bethlehem liegt ’Bersabea, wo Abraham wohnte’, daneben Gethea, eine
Landschaft am Toten Meer, rechts davon Gaza.
Strafgericht über
Sodom und Gomorrha
Neben dem Orte Hai (rechts von Jericho) ist zu lesen:
"Diese fünf Städte der Sodomiter sind wegen der Ungerechtigkeit
ihrer Bewohner durch ein Feuer, das vom Himmel fiel, vernichtet
worden. Einst reicher als Jerusalem, sind sie nun wüst und leer.
Dies wird an einer besonderen Art von Obstbäumen augenfällig. Denn
darauf wachsen dicke Äpfel, die so reif leuchten, daß man sie
unbedingt essen möchte. Wenn du sie aber pflückst, zerbrechen sie,
zerfallen zu Asche und Rauch quillt heraus, als hätten sie immer
noch Glut in sich."
Die Plassenburg
in der ‚Francia orientalis’
In der linken unteren Bildhälfte sind die Quellflüsse von
Naab, Main, Saale und Mulde sowie den angrenzenden Teil Thüringens
mit Orlamünde, Naumburg ('Nienbe c.'), Erfurt ('Erfordia
c.') und Meißen ('Misna c.' - oben links) sowie
Quedlinburg am 'Roda fl.' zu erkennen. Rechts von der
Plassenburg ('Blassenbc') liegt Nürnberg 'Nurenberch c.'),
darunter Bamberg ('Paven-borch'), durchflossen von der
Regnitz ('Rekenzia fl.') und schräg darüber Forchheim ('Vochelem').
Francia orientalis
und Germania superior
Unterhalb der „Francia orientalis“ (= Ostfranken)
ist rechts schräg darunter Würzburg ('wercebch.') zu
erkennen, unterhalb davon ist in der "Germania superior" 'westfalia
c.
Kloster Ebstorf ('Ebbekestorp') am linken unteren Bildrand
neben Lüneburg mit einem Kreuz und den als kleine Rechtecke
eingezeichneten drei Märtyrergräbern zu sehen.
Neben der Stadt Lüneburg ('Luna') ist daneben Braunschweig
(mit einem Löwen) auffallend groß dargestellt.. Darunter sind
Hannover ('honouere c.') zu erkennen.
Ausdruck
mittelalterlicher Weltsicht
-3-
Um die Erdoberfläche, die man sich wohl auch damals schon
kugelförmig vorgestellt hat, schlingt sich der Ozean. Das Kartenbild
ist von etwa 1600 Zeichnungen und erklärenden lateinischen
Beischriften bedeckt. Es ist dies ein Geschichtsbild, in dem sich
der Ablauf der Weltgeschichte ebenso zur belehrenden Betrachtung
darbietet wie die Ausdehnung der Welt mit ihren vielen Mirabilien
(wundersamen Dingen) in den Randzonen des Erdkreises. Das Haupt und
die Gliedmaßen Christi an den vier Enden der Welt wie auch das
goldgelb leuchtende Quadrat des irdischen und zugleich himmlischen
Jerusalem im Zentrum bedeuten dem Betrachter, dass das Weltwissen
der christlichen Contemplatio unterzuordnen sei. Das Paradies mit
Adam und Eva (jeder hält einen Apfel in der Hand) am Ostrand Indiens ist ebenso entschieden und
selbstverständlich dargestellt wie die Arche Noah in Armenien, der
Turm von Babel in Mesopotamien, Troja in Kleinasien, Karthago in
Libyen und Rom in Italien: Merkpunkte der Alten Geschichte.
Hinter dem kaukasischen Gebirgsbogen werden verschiedene Arten von
Menschenfressern lokalisiert, die afrikanische Randzone südlich des
Nils wird von einer „Monstergalerie" besetzt. Das Ideenbild der
Ebstorfkarte will und kann keine maßstabsgetreue, auf Messungen
beruhende Landkarte sein, es ist vielmehr von Symbolstruktur und
Bedeutungsperspektive bestimmt. Umso bemerkenswerter ist die
Detailfreude, mit der die Kartenbildner ihre geografische Gegenwart
ins Bild gesetzt haben.
Älteste
Deutschlandkarte
Die gesamte europäische (und das heißt christliche) Kartenpartie ist
mit identifizierbaren Orten besetzt und nähert sich hier dem
Charakter einer Landkarte im neuzeitlichen Sinn. Mit einem gewissen
Recht kann man die Ebstorfkarte als die älteste Deutschlandkarte
bezeichnen. Die Vielzahl der Städte, der Flüsse und sonstigen
topografischen Notationen ist ohne Vorbild. Das gilt besonders für
den norddeutschen Heimatraum der Karte um Lüneburg-Braunschweig und
die angrenzenden Gebiete. Doch das Kartenbild erfasst längst nicht
alle deutschen Länder mit gleicher Detailtreue, es weist große
Sprünge und Lücken auf, ganz abgesehen von den zerstörten Stellen.
Noch vieles gäbe es auf der Ebstorfer Weltkarte
zu erforschen. Vielleicht entdecken Sie den Turmbau zu Babel oder
Noah in der Arche am ‚Ararath mons’. Oder finden Sie den Berg Sinai
(in der rechten Mitte). Die Paradiesdarstellung ist nicht zu
übersehen. Oberhalb des Kaspischen Meeres sind die von Alexander
eingesperrten Völker Gog und Magog zu sehen, welche Menschenfleisch
essen und Blut trinken. Finden Sie unten die britischen Inseln oder
weiter oben die Stadt Rom mit ihrer fast kreisfömigen Umwehrung?
Planen Sie bei einem Besuch auf der Plassenburg also genügend Zeit
für Entdeckungen ein! Außerdem wissen ja: Ein Besuch auf der
Plassenburg lohnt sich immer. [Zeitungsbericht in der Bayerischen
Rundschau vom Verfasser D. Sch. im Dez. 2008]
Die Zitate sind entnommen aus EBSKART: Die
Ebstorfer Weltkarte, ein Spiegel des Weltbildes (Projekt der
Universität Lüneburg - digitalisierte Übersicht mit
Detailinformationen).
Die beiden letzten Abschnitte nach Hartmut Kugler im Katalog zur
Landesausstellung 2004 in Forchheim, S. 169 ff
Hingewiesen sei auf eine grundlegende
Neuerscheinung von
Hartmut Kugler (Hrsg.),
Die Ebstorfer Weltkarte, Band I: Atlas und
II: Untersuchungen und Kommentar; Akademie Verlag 2007 [178,00 €]
=>
zur Rezension der Neuerscheinung von Hartmut Kugler (Hrsg.)
=>
Link zu einem Webalbum unter PICASA von Dieter Schmudlach
=>
Die Ebstorfer Weltkarte
[Lexikon Wikipedia]
[Zurück
zum Landschaftsmuseum: Übersicht]
[Zurück zu den Museen:
Übersicht]
[Zurück zur Geschichte
der Plassenburg]
[Neues Thema
im Landschaftsmuseum] |
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Ebstorfer Weltkarte
3: Forchheim
/ 'Francia orientalis'
=>
Die Ebstorfer Weltkarte, Spiegel des mittelalterlichen Weltbildes
[=> Uni
Lüneburg]
=>
Zusammenfassende
Info zur Ebstorfer Weltkarte
[=>
Johanneum zur EXPO 2000
=>
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einer
Bildergalerie (1)
Abb. 1
Neue Digitalisierung (nach Hartmut Kugler:
4,6 M
Abb. 2
Hier ist Osten oben!
Abb. 3
Das Herzstück im Zentrum
der Ebstorfer Weltkarte:
Jerusalem und seine
Umgebung
Abb. 4
Bethlehem mit Ochs und Esel ('bos' und 'asinus' übrigens
vertauscht!)
("sie erkannten die Krippe ihres Herren" - Jes.1,3),
darüber Jericho, darunter Bersabia, "wo Abraham wohnte"
Abb. 5
In der oberen Mitte der Berg Sinai in 'Arabia',
dazwischen das
Tote Meer (mit roten Wellen)
mit Gomorrha, Adama und Sodom,
in der unteren Mitte
Bethlehem mit Stern
Abb. 6
Francia
Orientalis [Ostfranken]
Zwischen Nürnberg (Nurenberch) und Orlamünde
ist die Plassenburg
(Blassenb) abgebildet, darunter
Bamberg (Pavenborch)
und schräg darüber
Forchheim (Vochelem).
Links oben ist Prag (Praga) zu sehen, rechts
davon Wena in
Austria, rechts darunter Parma (Parrama).
Abb. 7
Francia
Orientalis [unterer Teil]:
oben Bamberg (Pavenborch) mit Regnitz,
Würzburg (Wercebch)
in der Mitte rechts,
Lüneburg (Mitte links) und
Braunschweig
(mit einem großen Löwen bekrönt) -
darüber
Goslar, Halberstadt, Naumburg,
Quedlinburg und Erfurt.
Abb. 8
Von Alexander eingesperrt wurden die
Völker
Gog und Magog. Sie essen Menschenfleisch
und trinken
Blut.
Darunter das Kaspische Meer.
Abb. 9 =>
größer: 4,0 MB!
Die Ebstorfer Weltkarte der Universität Lüneburg
aus ihrem
Internetauftritt
=>
Forchheim
und die 'Francia orientalis': [Ebstorfer
Weltkarte -3-]
=>
Hintergrundinformationen zur Karte [Ein Projekt der Universität Lüneburg]
=> Zu einem kleinen
Web-Album von Dieter Schmudlach bei PICASA
mit
mehr und ausführlicheren Informationen
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