Außergewöhnliche Zeugnisse der späten
Jungsteinzeit vom Motzenstein bei Wattendorf


7. Rad und Wagen in der späten Jungsteinzeit
                            
 
[Timo Seregély]

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" Die Erfindung von Rad und Wagen als eine der wichtigsten technischen Errungenschaften der Menschheit war seit jeher von besonderem Forschungsinteresse. Die Wurzeln dürften dabei in der ersten Hälfte des vierten vorchristlichen Jahrtausends liegen.

Früheste Nachweise stammen etwa aus der Zeit zwischen 3500 und 3200 v. Chr. und finden sich in sehr unterschiedlichen Regionen. Dazu zählen die Fahrspuren aus einem Megalithgrab der Trichterbecherkultur von Flintbek (Schleswig-Holstein), Gravuren von Rindergespannen mit vierrädrigen Wagen auf Megalithgräbern der Wartberg-Kultur in Zusehen (Hessen) oder die Wagendarstellung auf einem Trichterbecher aus Bronocice (Polen). Ähnlich früh datieren aber auch Piktogramme auf Tontäfelchen der Späturuk-Zeit Mesopotamiens (heutiger Irak), welche Rollen oder radähnliche Objekte zeigen. Radmodelle mit angedeuteten Naben vom Arslantepe in der Türkei oder vom Jebel Aruda in Syrien zählen ebenfalls zu diesen ersten Belegen von der Kenntnis des Rades.

Ob die Erfindung in Vorderasien, Nordmitteleuropa oder gar unabhängig voneinander in beiden Regionen annähernd zur gleichen Zeit gemacht wurde, ist beim momentanen Forschungsstand nicht zu beantworten.

Im späten vierten Jahrtausend v. Chr. gibt es mit Wagenmodellen aus Ton und ersten Funden von realen hölzernen Rädern und Wagen neue Fundgattungen. Die Wagenmodelle stammen zumeist aus Gräbern der spätneolithischen Badener Kultur (Karpatenbecken). In der Majkop-Kultur der kaukasischen Steppe gibt es Gräber mit Beigaben von kompletten, vierrädrigen Wagen. Die Räder, welche etwa einen Durchmesser von 60 cm aufwiesen, besaßen aus dem Holz herausgearbeitete Naben. Zusätzlich kannte man auch hier tönerne Radmodelle, die den echten Rädern im Aufbau völlig gleichen, allerdings nur wenige Zentimeter im Durchmesser betragen.

Als bislang früheste Radfunde aus dem europäischen Raum sind ein Rad aus Stare Gmajne (Slowenien) und einige ähnliche Exemplare aus der Horgener Kultur (Südwestdeutschland, Schweiz) anzuführen. Diese Holzräder sind aus meist drei Segmenten mittels Einschubleisten zusammengesetzt und haben immer ein quadratisches bis viereckiges Achsloch. Somit waren sie starr auf einer rotierenden Achse befestigt, während der andere Typ mit Nabe sich auf einer fest fixierten Achse drehte.

Dieser südmitteleuropäische Radtyp war zudem an eine andere Wagenkonstruktion gebunden, die eher eine Weiterentwicklung von Schleifen darstellt und nur zwei Räder besaß.

Für das frühe dritte Jahrtausend v. Chr. steigt die Zahl der Funde (Abb. 37) stark an, der Konstruktionsunterschied (im Norden Scheibenräder mit Nabe, im Süden segmentierte Räder mit Einschubleisten und viereckigem Achsloch) bleibt weiterhin erhalten. Zum Teil finden sich die Räder oder Wagenteile in der Nähe von Bohlenwegen, manchmal aber auch weit abseits davon als Einzelfunde mitten im Moor. Man muss deshalb von unterschiedlichen Funktionen sowohl im wirtschaftlichen als auch im sakralen Bereich ausgehen. Kulturell lassen sich diese Funde mit der Schnurkeramik in der Schweiz und der Einzelgrabkultur (Fußnote mit Erklärung) in Norddeutschland bzw. Südskandinavien verknüpfen.

Außerhalb der Feuchtbodenbereiche (also Mooren oder Seen) haben sich die Holzräder und andere Wagenteile nicht erhalten. Hier sind es lediglich Rad- und Wagenmodelle, die als Quelle zur Verfügung stehen (Fansa/Burmeister, Rad und Wagen).

Als Lesefunde liegen einige Fragmente möglicher Radmodelle aus Bayern vor, z.B. aus Karlstadt oder Burgerroth. Eine genauere Datierung ist ohne Befundzusammenhang allerdings nicht möglich. Deshalb sind die Radmodellfragmente vom Motzenstein umso bedeutender, da sie aus einer recht genau datierbaren Kulturschicht der Schnurkeramik stammen.
Ein vollständiges Radmodell hatte H. Scheibe im Jahr 2001 am Nordfuß des Motzensteins auflesen können (Abb. 38). Aus der schnurkeramischen Siedlungsschicht stammen nun mehrere Bruchstücke, die ebenfalls Radmodellen angehören (Abb. 39). 

Es handelt sich um scheibenförmige Tonobjekte mit deutlich ausgeprägten, nabenartigen Verstärkungen. Der Durchmesser der Scheibe beträgt zwischen 4,5 und 8 cm.

Bei den kleineren Stücken ist eine Verwendung als Spinnwirtel durchaus in Erwägung zu ziehen. Das große Exemplar scheidet aber mit großer Sicherheit für eine solche Nutzung aus. Sämtliche Spinnwirtel, die bislang der schnurkeramischen Kultur zugewiesen werden konnten, sind anders geformt1 .
Viel eher ähneln die Wattendorfer Tonscheiben den echten Scheibenrädern mit Nabe aus dem norddeutschen bzw. südskandinavischen Raum (Abb. 40). Sie lassen sich demnach als Miniaturen dieses Radtyps ansprechen.
Der Zweck der Radmodelle bleibt vorerst unklar. Ob die kleinen Stücke sekundär als Spinnwirtel
dienten oder ob für die Tonräder eine ähnliche Deutung wie für die nachfolgend besprochenen Miniaturäxte zutrifft, muss mangels vergleichbarer Funde aus klaren Befundsituationen vorerst dahingestellt bleiben (Seregély, Radmodelle)."  
[T. Seregély in AXT & RAD, 37 ff]

Literatur:
M. FANSA/S. BURMEISTER, Rad und Wagen. Der Ursprung einer Innovation. Wagen im Vorderen Orient und Europa (Mainz 2004).
Y. GERBER/C. HAENICKE/B. HARDMEYER, Jungsteinzeitliche Ufersiedlungen im Zürcher Seefeld. Band 2: Tafeln (Zürich 1994).
T. SEREGELY, Radmodell und Votivaxt - außergewöhnliche Funde der Kultur mit Schnurkeramik von der Nördlichen Frankenalb. In: M. FANSA/S. BURMEISTER (Hrsg.), Rad und Wagen. Der Ursprung einer Innovation. Wagen im Vorderen Orient und Europa (Mainz 2004) 315-320.

Quelle: 
T. Seregély u. a., Axt & Rad en miniature, Aussergewöhnliche Zeugnisse der Jungsteinzeit vom Motzenstein bei Wattendorf (Begleitheft zur Sonderausstellung im Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld vom 18.03. bis 29.05.2005), Tüchersfeld 2005.

Abb. 37: Übersichtskarte zu frühen Radprovinzen von Europa 
               bis Vorderasien (nach H. Schlichtherle).

 

          

Radmodell aus Ton: Dm. ca. 5 cm; 
von Helmut Scheibe 2001gefunden. Aus der Sonderausstellung 
"
AXT & RAD en miniature" 2005 in Tüchersfeld

 

     

Abb. 38: Lesefund eines vollständigen Radmodells.

 

Abb. 39: Radmodellfragmente aus der 
            
schnurkeramischen Kulturschicht.



    

Rekonstruktion eines tönernen Wagens der Badener Kultur
mit Scheibenrädern von Szigetszentmárton (Ungarn).
Foto aus der Sonderausstellung "
AXT & RAD en miniature"
im Fränkische Schweiz-Museum, Tüchersfeld 2005.



 

Aufgrund von im Moor aufgefundenen Wagenteilen
wurde dieses hölzerne Wagenmodell rekonstruiert.
Foto der Nachbildung im Museum "Mensch und Natur"
in Oldenburg (Niedersachsen): Sonderausstellung 
"AXT & RAD
en miniature", Tüchersfeld 2005.
 

 

  

Abb. 40: Beispiel eines endneolithischen 
Scheibenrads aus den Niederlanden (90 cm).

 

Zeichnerische Rekonstruktion eines Wagens mit Scheibenrädern
aus der Sonderausstellung "AXT & RAD en miniature" im 
Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld 2005. 

 

=> Die Grabungen am Motzenstein bei Wattendorf, BA 
      [Vorbericht der Uni Bamberg: Internetseite] 


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