"Die Aufgabe des Nomadentums zugunsten der Sesshaftigkeit gilt als einer der wichtigsten und folgenreichsten Schritte in der Entwicklung urgeschichtlicher Gesellschaften. Dieser Prozess, der mit dem Wechsel von einer Jäger- und sammlerischen (= aneignenden) zu einer kultivierenden und domestizierenden, Ackerbau und Viehzucht betreibenden (= produzierenden) Wirtschaftsweise einhergeht, wird Neolithisierung genannt.
Die Neolithisierung Europas hat ihre Ursprünge im Vorderen Orient. Sie vollzog sich stufenweise ab dem 9. Jahrtausend v. Chr. im Bereich des „Fruchtbaren Halbmonds" (zwischen Levante und Obermesopotamien) und verbreitete sich allmählich über die Mittelmeerküsten und und dann die Rhone aufwärts sowie über den Balkan und entlang der Donau. Spätestens um die Mitte des 6. Jahrtausends erreichte diese Entwicklung Mitteleuropa.
Kennzeichnend für den hiesigen ersten Abschnitt der Jungsteinzeit, dem Altneolithikum, ist vor allem die Linienbandkeramik, die das vorausgehende Mesolithikum rasch ablöste. Ob die ersten Bauern aus dem transdanubischen Kerngebiet der Linienbandkeramik in das damals noch größtenteils bewaldete Mitteleuropa einwanderten oder einheimische spätmesolithische Jäger und Sammler die bäuerliche Wirtschaftsweise adaptierten, wird in der Forschung kontrovers diskutiert.
Es wird sich wohl um einen komplexen Prozeß gehandelt haben, in dem Kolonisten aus dem Südosten mit neuem Ideen- und Sachgut und eine mesolithische Restbevölkerung, die ihrerseits möglicherweise schon erste Schritte in Richtung Neolithisierung getan hatte, miteinander in Kontakt kamen.
Trotz ihrer großräumigen Verbreitung zeichnete sich die Linienbandkeramik zunächst durch eine große Einheitlichkeit aus.
Charakteristisch sind vor allem die bis zu 40 m langen Häuser und die namengebende bänderverzierte Tonware. Erst in den jüngeren Phasen machen sich in der Keramik regionale Unterschiede bemerkbar. Zu dieser Zeit erstreckte sich die Linienbandkeramik im Westen bis zur Seine-Mündung sowie im Osten bis in das Schwarzmeergebiet.
Auch in Oberfranken haben Menschen der Linienbandkeramik ihre Spuren hinterlassen. Bisher sind über 80 Fundstellen bekannt (Abb. 46). Alle Phasen, von der ältesten bis zur jüngsten Bandkeramik, sind vertreten. Bandkeramische Funde wurden aufgelesen im westlichen Albvorland, im Obermaingebiet, im Coburger Land, im Regnitz-becken sowie vereinzelt im Steigerwald. Zudem gibt es eine beachtliche Anzahl von Fundstellen am Westrand der nördlichen Frankenalb, während der Osten Oberfrankens bislang fundleer geblieben ist. Größere Grabungen erfolgten lediglich in den Siedlungen von Zilgendorf und Altenbanz
(Lkr. Lichtenfels) (Schönweiß, Zilgendorf), Merkendorf (Lkr. Bamberg) sowie in der Siedlung mit Grabenwerk von Unterlauter (Lkr. Coburg) (Schönweiß, Lautertal).
Der überregional wohl bekannteste oberfränkische Fundplatz ist die Jungfernhöhle bei Tiefenellern, wo 1952 eine Grabung Reste von mindestens 41 Menschen sowie Keramik aus vier neolithischen Perioden, ferner der Metallzeiten, des Mittelalters und der Neuzeit erbrachte (Kunkel, Jungfernhöhle). Bemerkenswerterweise sind 85 % der Mindestindividuen weiblich - außerdem sind mit 63 % Nichterwachsene jüngere Personen deutlich überrepräsentiert.
In einer ersten Analyse wurde der Fundort als bandkeramischer Opferplatz mit Hinweisen auf Kannibalismus angesprochen. Dem wurde unlängst aufgrund einer eingehenderen anthropologischen Untersuchung eine plausible Neuinterpretation der Höhle als sekundärer Bestattungsplatz gegenübergestellt (Orschiedt, Jungfernhöhle).
Das bandkeramische Alter eines Großteils der Skelettreste konnte dagegen anhand einer Reihe von 14C-Datierungen bestätigt werden.
12 km nördlich der Jungfernhöhle liegt die Felsgruppe des Motzensteins bei Wattendorf (Lkr. Bamberg). Auch vom Motzenstein sind seit langem
linienbandkeramische Lesefunde bekannt (Mauer, Motzenstein), die zum Teil bereits in der Publikation über die Jungfernhöhle berücksichtigt wurden (Kunkel, Jungfernhöhle, S. 114f.). Diese Altfunde stammen aus einer kleinen, sich nach Norden öffnenden Höhle am Nordwesthang des Motzensteins (s. Abb. 13) sowie vom Hang unterhalb. Das
sedimentverfüllte Felsloch hat eine Größe von ca. 2 x 1 m und eine Tiefe von ca. 1,5 m. Ihm vorgelagert ist ein ähnlich großer, felsiger Bereich, der ebenfalls von Sediment bedeckt war.
Im Zuge der Grabungskampagne 2003 wurden Höhle und Vorplatz komplett untersucht (Schnitt 8) und Funde der Linienbandkeramik, der Schnurkeramik sowie der Späthallstatt/Frühlatènezeit geborgen. Das Sediment war während der Eisenzeit durchwühlt worden, doch konnten in den
tieferen Niveaus auch ungestörte Schichten nachgewiesen werden.
Besonders interessant ist ein Bereich innerhalb des Vorplatzes, aus dem Reste von mehreren bandkeramischen Gefäßen (Abb. 47,1.2.4.6) und eines Fußschälchens (Abb. 49,1) stammen. Einige größere Scherben eines besonders fein verzierten Kumpfes (Abb. 48) waren z.T. noch vertikal in das Sediment eingelagert. Diese Beobachtung sowie die Tatsache, dass von einigen Gefäßen noch recht viele Bruchsstücke vorlagen, sprechen dafür, dass hier offensichtlich Keramik in komplettem Zustand niedergelegt wurde. Zahlreiche bandkeramische Scherben (Abb. 47,3.5) und Fragmente von Felsgesteinbeilen wurden als Streufunde in den anderen Grabungsschnitten auf und um den Motzenstein geborgen.
Die altneolithische Keramik vom Motzenstein ist zum Teil sehr qualitätsvoll und reich verziert. Die Kümpfe stellen die für die Bandkeramik wichtigste Gefäßform dar, sie haben runde Böden und geschweifte oder gerade, jedoch keine einziehenden Oberteile. Verziert sind diese Gefäße mit wellen-, bogen- oder zickzackförmigen Bändern aus parallelen Ritzlinien. Die Bandfüllungen können sich aus Reihen von punktförmigen Einstichen, leiterartig angeordneten Fingernageleindrücken oder lockeren, quer zum Band gesetzten Stichreihen zusammensetzen - absolut dominierend sind jedoch kammstichgefüllte Bandtypen (Abb. 47,1.2.4; Abb. 48).
Die Kammstich- oder Kammstempeltechnik bildete eine neue Verzierungsmethode, bei der ein
mehrzinkiges Gerät (am Motzenstein mit bis zu acht Zinken) verwendet wurde. Sie ist wohl auf Einflüsse der im Mittelmeerraum und im südlichen Westeuropa verbreiteten Cardial-Keramik, benannt nach der Cardium-Muschel als vorherrschendes Verzierungsinstrument, zurückzuführen. In direktem Zusammenhang hierzu ist die Tremoliertechnik zu sehen, bei der das Gerät in einer speziellen Wiegetechnik, ohne es abzusetzen über den Gefäßkörper geführt wurde (Abb. 47,2).
Das Auftreten zwei- oder mehrzinkiger Geräte ist eine wichtige ziertechnische Neuerung am Übergang vom Alt- zum Mittelneolithikum, die - zunächst noch selten - in der jüngeren Bandkeramik einsetzt und regelhaft ab der jüngsten Bandkeramik belegt ist. Die ältesten Nachweise für den Kammstich stammen aus der späten Bandkeramik des Pariser Beckens, von wo die neue Technik
nach Osten (Strien, Bandkeramik, S. 66ff. u. 79f.), den Rhein und den Main aufwärts bis nach Oberfranken vermittelt wurde.
Unter den Funden vom Motzenstein befindet sich auch das Fragment eines eher unscheinbaren, drei- oder vierfüßigen Schälchens, das aus mehreren Bruchstücken zusammengesetzt werden konnte
(Abb. 49,1). Die Oberseite zeigt deutlich Spuren eines sekundären Brandes. Schalen oder Tischchen mit Füßen treten ab der ältesten Bandkeramik auf, wo sie auf den Einfluss der balkanischen Starcevo-Kultur zurückgeführt werden können, sind aber während der gesamten Bandkeramik belegt (Abb. 49,2).
Zwar erinnert das Stück in seiner Tonbeschaffenheit tatsächlich eher an älteste Bandkeramik als an die vom Motzenstein vorliegende Keramik, doch wäre auch ein Zusammenhang zwischen der speziellen, eher grob ausgeführten Machart und diesem besonderen Gefäßtyp denkbar, denn gesicherte Hinweise auf eine Begehung des
Motzensteins zur Zeit der ältesten Bandkeramik fehlen bislang.
Höchstwahrscheinlich wurden das Fußschälchen wie auch die fein verzierten Gefäße im Rahmen ritueller Handlungen bewusst im bzw. vor dem Felsloch deponiert. Mit der Jungfernhöhle lässt sich der Motzenstein aber nur bedingt vergleichen, da hier offensichtlich keine menschlichen Skelettreste niedergelegt wurden. Bezüglich des Keramikspektrums sind jedoch beide Fundstellen eng miteinander verwandt (vgl. Kunkel, Jungfernhöhle, Taf. 21-25). Nahezu alle am Motzenstein vorkommenden Bandtypen sind auch in der Jungfernhöhle vertreten.
Der überaus hohe Anteil an kammstichgefüllten Bändern spricht deutlich für eine sehr späte Datierung eines Großteils des Fundmaterials. Von
mindestens 14 weiteren oberfränkischen Fundstellen liegt ebenfalls kammstichverzierte Keramik vor (Abb. 46). Es darf also durchaus, wie schon O. Kunkel vermutete, von einer regionalen oberfränkischen „Spätvariante" (Kunkel, Jungfernhöhle S. 79) gesprochen werden.
Auch im Rheinland steht das gehäufte Vorkommen von kammstichverzierter Keramik am Ende der bandkeramischen Entwicklung (-4950 v. Chr.). Bemerkenswert ist, dass in beiden Regionen ein Retardieren der Linienbandkeramik feststellbar ist, während in den jeweils benachbarten Gebieten Rheinhessen und Böhmen zu dieser Zeit das Mittelneolithikum (Hinkelstein bzw. Stichbandkeramik) bereits voll ausgeprägt war. Dieses Phänomen des Retardierens in peripher gelegenen Zonen erklärt möglicherweise auch den relativ geringen Fundniederschlag der Stichbandkeramik in Oberfranken.
Eine weitere regionale Besonderheit verrät ein abschließender Blick auf die Gesamtverbreitung bandkeramischer Fundstellen in Oberfranken. In der Regel wählten die Menschen der Linienbandkeramik zur Besiedlung Gegenden mit Böden von hoher Qualität. Im vorliegenden Fall sind dies die Lößgebiete Mainfrankens. Darüber hinaus liegt jedoch eine größere Anzahl von Fundstellen am westlichen Rand der Albhochfläche - oft, aber nicht ausschließlich im Bereich in und um Höhlen (Abb. 46). Hier ergibt sich ein abweichendes Verbreitungsbild, das möglicherweise andere Aktivitäten widerspiegelt, zumal reguläre Siedlungen mit Häusern, sicherlich auch aufgrund fehlender Grabungen, bisher nicht nachgewiesen sind.
Gründe für das Aufsuchen der Frankenalb könnten z.T. in der Notwendigkeit der Rohmaterialbeschaffung (Silex), wie z.B. in Eschlipp (Lkr. Forchheim) (Züchner, Steinzeit S. 55), vielmehr aber auch in der Nutzung der Hochflächen zur Sommerweide
zu suchen sein. Umso spannender erscheint es, dass unlängst in Baden-Württemberg anhand von Strontiumisotopenanalysen nicht nur die Haltung bandkeramischer Hausrinder, sondern auch der längere Aufenthalt von Jungen (als Viehhirten?) in Mittelgebirgszonen nachgewiesen werden konnte (Price et al., Viesenhäuser Hof Anm. 66)." [Ingo
Bürger in AXT & RAD, 52 ff]
Literatur:
J. KNEIPP, Bandkeramik zwischen Rhein, Weser und Main.
Universitätsforsch, z. prähist. Arch. 47 (Bonn 1998).
O. KUNKEL, Die Jungfernhöhle bei Tiefenellern. Münchner Beitr.
z. Vor- und Frühgesch. 5 (München 1955).
H. MAUER, Motzenstein, Siedelplatz von vier neolithischen
Kulturen. Fränkische Blätter 8, 1956, 20, 77-78.
J. ORSCHIEDT, Die Jungfernhöhle bei Tiefenellern. Neue Interpretation der menschlichen Skelettreste. Ber. Hist. Ver. Bamberg 133, 1997, 185-198.
T. D. PRICE ET AL., Das bandkeramische Gräberfeld vom .Viesenhäuser Hof bei Stuttgart-Mühlhausen: Neue Untersuchungsergebnisse zum Migrationsverhalten im frühen Neolithikum. Fundber. Baden-Württemberg 27, 2003, 23-58.
W. SCHÖNWEIß, Die bandkeramischen Siedlungen von Zilgendorf und Altenbanz. Kat. Prähist. Staatsslg. 18 (München 1976).
W. SCHÖNWEIß, Konturen eines Grabensystems der älteren Bandkeramik von Lautertal, Landkreis Coburg. In: Aus Frankens Frühzeit. Mainfränkische Studien 37 (Würzburg 1986)17-20.
H.-CHR. STRIEN, Untersuchungen zur Bandkeramik in Württemberg. Universitätsforsch, z. prähist. Arch. 69 (Bonn 2000).
CHR. ZÜCHNER, Die Steinzeit in Oberfranken. In: W. Sage (Hrsg.), Oberfranken in vor- und frühgeschichtlicher Zeit (2. Auflage, Bamberg 1996).
Quelle:
T. Seregély u. a., Axt & Rad en miniature, Aussergewöhnliche
Zeugnisse der Jungsteinzeit vom Motzenstein bei Wattendorf
(Begleitheft zur Sonderausstellung im Fränkische Schweiz-Museum
Tüchersfeld vom 18.03. bis 29.05.2005), Tüchersfeld 2005.
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Abb. 46: Linienbandkeramische Fundstellen in Oberfranken.
Abb. 47:
Wattendorf-"Motzenstein" (Lkr. Bamberg):
Funde der Linienbandkeramik. 1.2.4.6 Schnitt 8 (Felsloch).
3 Schnitt 7. 5 Schnitt 14. M 1:2.
Abb. 48: Wattendorf-„Motzenstein"
(Lkr. Bamberg):
restaurierter Kumpf der jüngsten Linienbandkeramik
aus Schnitt 8 (Felsloch).
Abb. 49: 1 Wattendorf-„Motzenstein" (Lkr. Bamberg): Fußschälchen aus Schnitt 8 (Felsloch).
2 Bad Nauheim (Wetteraukreis). M 1:2.
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Die
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