DIE SCHÖNE
EBSTORFERIN
von Michael Zick
Die 700 Jahre alte
Karte ist das größte mittelalterliche Welt-Bild. Forscher haben das
seltene Stück aus dem Kloster Ebstorf rekonstruiert – einen
zeittypischen Mix aus Kartografie und Mythologie.
„Wer zum Paradies will, benötigt eine Leiter und muss
darauf rund drei Meter hoch klettern. Doch der Einlass in den Garten
Eden wird ihm von einer himmelhohen Flammenwand verwehrt. Und ein
Zurück gibt es nicht. Man kann es auch im Internet versuchen unter:
„http://www2.leuphana.de/ebskart/“.
Ein Mausklick scheint dort direkt ins Paradies zu führen. Aber auch
hier heißt es in deutscher Übersetzung: „für Menschen nicht
erreichbar“.
Die Leiter benötigt der Paradies-Sucher im Ebstorfer
Kloster in der Lüneburger Heide, um die 3,58 mal 3,56 Meter messende
„Ebstorfer Weltkarte“ betrachten zu können. Und die Maus hilft ihm
bei der Computerreise zur digitalen Fassung des einmaligen
Welt-Bildes, das um 1300 nach Christus entstand. Jetzt gibt es
obendrein eine dritte Möglichkeit, das Paradies zu sehen: In der
ersten wissenschaftlich befriedigenden Buchedition der Ebstorfer
Weltkarte. Sie stammt von Hartmut Kugler, Altgermanist an der
Universität Erlangen-Nürnberg. Er beschäftigt sich seit den
Achtzigerjahren mit der schönen „Ebstorferin“, wie er sie nennt.
Seine ausführlich kommentierte Reiseroute wird Wissenschaftler,
kulturhistorisch Interessierte, aber vor allem Bibliomane
begeistern. Kuglers Neuedition gibt einen tiefen Einblick in
Welt-Bild und Denk-Welt beim Ausgang aus dem finsteren Teil des
Mittelalters. Und sie ist ein Beispiel für die wachsende Verzahnung
von naturwissenschaftlich-technischem Können und
geisteswissenschaftlichem Erkenntnisdrang.
Aus der wechselvollen
Geschichte der ‚Schönen Ebstorferin’
Die Geschichte beginnt 1830, als im Ebstorfer Kloster
Großreinemachen angesagt ist. In einer Rumpelkammer findet sich das
große, auf zwei Stangen aufgerollte Bündel zusammen mit Altardecken
und Prozessionsgeräten „aus katholischer Zeit“. Dieser Hinweis legt
nahe, dass die 13 Quadratmeter große Karte mindestens seit 1567 im
Asservatenraum liegt, denn in diesem Jahr wurde das katholische
Nonnenkloster Ebstorf im Zuge der Reformation in ein evangelisches
Damenstift umgewandelt. Bis auf die linke untere Ecke ist die aus 30
Tierhäuten zusammengenähte Pergamentkarte intakt.
Doch kaum aus der schützenden Dunkelkammer ans Licht
geholt, beginnt der Zerstörungsprozess: Ein Unbekannter schneidet
ein 66 mal 50 Zentimeter großes Stück heraus. Es ist bis heute
verschollen – und die einzige Hoffnung der Wissenschaftler, doch
noch ein Stückchen der Originalkarte zu erhaschen. Denn das kostbare
Unikat selbst ist bei einem Bombenangriff auf Hannover 1943
verbrannt.
1891 wurde eine fotografische Reproduktion in Schwarz-Weiß
angefertigt. Dazu wurde die Karte – der Anfang vom Ende – in ihre 30
Teilsegmente auseinandergenommen, geglättet, beschnitten und
aufgespannt. Die Fotografie steckte damals noch in den
Kinderschuhen. Entsprechend ernüchternd fiel das Ergebnis aus:
„Verschwommen, unleserlich, uneinheitlich“, wie Kugler kommentiert.
Man musste für den geplanten Atlas auf die traditionelle
Retuschierung zurückgreifen.
Ein Dreivierteljahr mühte sich der Philologe Ernst
Sommerbrodt, die Schriftzüge mit schwarzer Tinte
nachzuziehen und die figürlichen Darstellungen zu kolorieren – was
nach den damaligen Möglichkeiten allerdings bedeutete: die Farben
des Originals in verschiedenen Grauabstufungen darzustellen.
Bei dieser Bearbeitung verschwand, vor allem an den
Stoßkanten der Pergamentblätter, einiges an Bild- und
Text-Information im Nirwana. Und bei den Texten wies Sommerbrodt
selbst darauf hin, dass er nur die sicher lesbaren Schriften
nachgezogen und in den Atlas aufgenommen habe. Die daraus
zwangsläufig entstandenen Fehler sind heute nur in wenigen Fällen
erkennbar. Dennoch waren die Restauratoren mit den 25 Blättern ihres
Atlasses im XXL-Format DIN A2 hoch zufrieden. Er war 1896 Grundlage
für eine Neuedition der Karte auf einem Blatt von etwa einem
Quadratmeter Größe. Sie wurde nach Augenschein des Originals
handkoloriert und in 16 Farben gedruckt. Dabei „verbesserte“ der
damalige Editor ziemlich freihändig, sodass Hartmut Kugler heute
dieser Fassung eine „stilistische Distanz zum Original“ testiert wie
„eine neugotische Kirche zu einer mittelalterlichen“.
1930 schließlich entstand aus den Lichtdrucktafeln
Sommerbrodts eine große Rollkarte, die mit Temperafarben übermalt
wurde. Sie hängt heute in der Ebstorfer Landbauschule. Um die
Einzelbilder zu dieser Gesamtkarte zusammenzufügen, griff der
Grafiker neben der Farbe auch zur Schere, sodass Kugler auch hier
„erhebliche Text- und Bildverluste“ an den Rändern moniert. Diese
Teile sind für immer verloren. 1950 machte sich der Grafiker
Rudolf Wieneke an die Rekonstruktion des verlorenen
Schatzes. Er hatte ein spezielles Verfahren entwickelt, mit dem er
auf Ziegenhautpergament drucken konnte. Als Vorlage dienten ihm die
Sommerbrodt’schen Lichtdrucktafeln. Er fertigte vier Karten im
13-Quadratmeter-Originalformat an und kolorierte jede einzeln von
Hand. Für die Farbnuancierung zog er die Erinnerungen von
Augenzeugen und die beiden früheren Kolorierungen heran. Eine dieser
Rekonstruktionen prangt nun im Kloster Ebstorf, ihrem Stammsitz.
Eine zweite Karte ist irgendwo im griechischen Königshaus verloren
gegangen, eine weitere hängt im Kulmbacher Museum auf der
Plassenburg, die vierte im Lüneburger Museum. Mit Hilfe dieser Karte
wollte Martin Warnke, Informatiker an der Universität Lüneburg, in
den Achtzigerjahren seinen Studenten den Begriff „Hypertext“ nahe
bringen – ein netzartiger Verbund von Texten. Denn, so Warnke, „die
Ebstorf-Karte ist mit ihren vereinzelten Teilstücken eigentlich ein
Hypertext. Das passt ja gar nicht zwischen zwei Buchdeckel.“
Ein Puzzle aus 2000 Teilen
Für das Vorhaben wurde die Karte – nach einem Druck
der Wieneke-Fassung – eingescannt, und die von Hartmut Kugler
bereitgestellten Texte wurden erfasst. „Dann mussten wir uns eine
Darstellungs-Technik überlegen, wie man von der Grafik zu den
einzelnen Textstücken kommt“, erinnert sich Warnke. Es galt ein
Ordnungsschema zu finden, mit dem man die rund 2000 Puzzleteile aus
Bild und Text miteinander verbinden konnte. Damals, vor der
Erfindung des World Wide Web, war das nur mit einer Software namens
„Hypercard“ möglich.
Aus der Schwarz-Weiß-Fassung fertigte Warnke Mitte
der Neunzigerjahre eine internettaugliche, farbige HTML-Fassung an,
auf die nun jedermann zugreifen kann. „Es geht uns darum, diese
schöne Arbeit öffentlich zu machen“, sagt Warnke. Wer also zu den
„Kornspeichern Josephs“ – sprich den ägyptischen Pyramiden – will,
setzt seinen Mauszeiger auf eben diesen Kartenpunkt, macht „klick“,
und schon wird ihm die deutsche Übersetzung des Textes angezeigt.
Ebenso kann der Neugierige jene Wesen besuchen, die sich ihre
Riesenunterlippen als Sonnenschutz über den Kopf drapieren oder die
zwecks Zukunftserkundung unentwegt in die Sonne starren. Die Arche
Noah fehlt ebenso wenig wie der Turm zu Babylon, Jerusalem als
goldener Mittelpunkt des christlichen Weltbildes, das herzförmige
Sizilien, die Altäre des Alexander oder Friesland oder der „Fluss
Rhein, der Gallien und Germanien trennt“.
Der Grosse Absturz
In den ausführlichen Randtexten der Karte kann
jedermann per Klick das Wissen des 13. Jahrhunderts über Pflanzen
und Tiere erfahren oder sich die Schöpfungsgeschichte erzählen
lassen. Bei 500 Gebäuden, 160 Gewässern, 60 Inseln oder Gebirgen, 45
Menschen oder Fabelwesen und 60 teils naturalistisch, teils
unbeholfen gezeichneten Tieren und viel Text wird das Auffinden und
Zuordnen der Informationsschnipsel zur originären Aufgabe einer
digitalen Aufbereitung. Nur fließend in der Karte navigieren kann
man (noch) nicht. „Dazu ist die Karte einfach zu groß“, bedauert
Warnke. „Wenn man die in guter Auflösung einscannt, kommt man auf
200 Megabyte.“
Ohne Bit und Byte wäre auch Hartmut Kugler bei seiner
Neuedition der Ebstorfer Weltkarte nicht ausgekommen. Allerdings
stockten die Bemühungen in den frühen Neunzigerjahren immer wieder,
weil „die Rechenzentren zwar groß, die Möglichkeiten der
Datenübertragung aber recht klein waren“. Bei einem Versuch, die
digitalisierten Materialien von einem Arbeitsplatz zum anderen zu
transferieren, brach der Universitätsrechner zusammen. Manchmal
wollte Kugler schon aufgeben. Doch er hat durchgehalten – mit
Erfolg: „Die digitale Rekonstruktion bildet die Grundlage für die
Neuausgabe der Karte in Buchform“, bekräftigt der Erlanger Professor
für Altgermanistik. Die 200 Megabyte, die Warnke für seine gesamte
Karte veranschlagt, benötigte Kugler für jedes einzelne Blatt, als
er die 25 Lichtdrucktafeln von Sommerbrodt mit einer Auflösung von
700 dpi und acht Bit Farbtiefe einscannen ließ. Damit war aber nur
der erste Schritt getan: Beim Einscannen wurde ein erster Kontrast-
und Helligkeitsabgleich vorgenommen, um die Abweichungen zwischen
den Ursprungsblättern möglichst klein zu machen. Entstanden waren
sie durch den unterschiedlichen Erhaltungszustand und die
Retuschierung.
Die Welt in Farbe
Die elektronische Verbindung der einzelnen Blätter,
quasi das Zusammennähen, machte Probleme, weil Dehnungen,
Schrumpfungen und Randverzerrungen der Lichtdrucke äußerst behutsam
und sachkundig korrigiert werden mussten. Die Farbgebung war dann
die größte Herausforderung: 10 000 abgrenzbare Bildelemente (ohne
Schrift) wurden manuell eingeteilt und bekamen dann die Farbe
zugewiesen, die aus den Graustufen der Sommerbrodt-Vorlage, den
beiden Kolorierungen von 1896 und 1930 und dem Vergleich mit anderen
mittelalterlichen Farbillustrationen zusammengetragen worden war.
Die Kugler-Karte unterscheidet sich deshalb deutlich von den
bisherigen Kolorierungen: Sie wirkt lebendiger.
„Unsere Rekonstruktion entspricht dem Original zu 80
Prozent“, freut sich der Literaturwissenschaftler.
Für die Buchedition in Format eines Schulatlasses hat
der Erlanger Mediävist das Riesenwerk nach Autokartenmanier in 61
Quadrate eingeteilt. Jeweils auf einer Doppelseite ist der
entsprechende Bildausschnitt farbig abgedruckt, sodass der
Betrachter das Bild tatsächlich anschauen kann.
Daneben stehen der lateinische Text und die deutsche
Übersetzung, was die Zuordnung erheblich erleichtert und die
Zusammenhänge klärt. Im zweiten Band sind neben Forschungsgeschichte
und wissenschaftlicher Standortbestimmung alle 61 Kartensegmente
kommentiert, das heißt mit Hinweisen versehen auf mögliche Fehler
und Missinterpretationen der Kartenmaler, auf mythologische oder
geschichtliche Zusammenhänge der Sequenz und auf Quellen und
Parallelen in anderen mittelalterlichen Bild- und Textwerken. Bei
den Ebstorf-Texten beansprucht Kugler höchstmögliche Authentizität.
Er hat viele Inschriften neu dechiffriert und teilweise neu
übersetzt. Aufgrund aktueller Forschungsergebnisse – etwa aus
anderen mittelalterlichen Karten oder Handbüchern – ist er zu
detaillierteren Zuordnungen und auch anderen Schlussfolgerungen
gekommen als seine Vorgänger.
So setzt er der jahrzehntelangen Diskussion um den
Auftraggeber und/oder Verfasser der Karte aus der Heide ein Ende:
„Von einer geistigen Urheberschaft des Gervasius kann definitiv
keine Rede sein.“ Gervasius von Tilbury, eine
schillernde Gelehrtenfigur des Mittelalters, stammte aus England,
lehrte in Bologna Kanonisches Recht, stand kurze Zeit im Dienst des
Königs von Sizilien und war Parteigänger und Marschall des Kaisers
Otto IV. von Braunschweig. Als der stürzte und sich in seine
niedersächsische Heimat zurückzog, widmete Gervasius diesem ein Buch
und eine (verschollene) Karte über die Wunder der Welt. Aus diesem
Werk sollten die meisten Texte auf der Ebstorfer Karte stammen – war
die bisherige Lehrmeinung.
„Falsch“, sagt Kugler. „Die überwiegende Zahl der dortigen
Informationen entspringt, teilweise wörtlich, den Werken von zwei
anderen mittelalterlichen Gelehrten, nämlich Isidors ,Etymologiae‘
und Honorius ,Imago mundi‘.“ Damit hat Kugler auch den
zweiten hartnäckigen Streitpunkt aus dem Weg geräumt: Die Karte ist
nicht um 1239 entstanden, wie die Gervasius-Getreuen postulierten,
sondern um 1300. Das war die Zeit der erbitterten
Auseinandersetzungen zwischen Papst und deutschen Kaisern um die
weltliche Macht in Europa. Kunsthistoriker favorisierten das neuere
Datum schon immer, frisch aufgetauchte mittelalterliche Handbücher
und Abhandlungen bestätigen laut Kugler jetzt diese zeitliche
Einordnung. Nicht rütteln will der Wissenschaftler am
Herstellungsort der Karte – auch nach seiner Ansicht ist sie im
Kloster Ebstorf gefertigt worden. Die Kenntnis für derlei
Großvorhaben war dort vorhanden: Die Herstellung von damals sehr
beliebten großformatigen Bildteppichen, die von Nonnen gestickt
wurden, hatte im Ebstorfer Kloster Tradition. Auch die – im
Vergleich zur übrigen Karte – unverhältnismäßig detaillierte und
große Darstellung der Ebstorfer „Heimatgegend“ um Lüneburg,
Braunschweig, Hannover, den Bischofssitz Verden und den
Oberbischofssitz Bremen spricht dafür. Und die Betonung der
Ebstorfer Märtyrergräber im gleichen Atemzug wie die in Jerusalem
weist ebenfalls in diese Richtung. Über den Zweck der Riesenkarte
kann auch Kugler nur spekulieren: Da sie aufgerollt war, wurde sie
wohl zu bestimmten Feierlichkeiten im Kloster aufgehängt – zur
geistlichen wie geistigen Belehrung der Insassen und Besucher.
Der Nabel der Welt
Das könnte gut passen, denn die Karte stellt
religiöse Themen und liturgische Hinweise sowie mythologische
Geschichten und Historie, eingewoben in die geografischen und
naturkundlichen Informationen ihrer Zeit, dar. Damit ist die
Weltkarte von Ebstorf die umfassendste Darstellung des
mittelalterlichen Weltbildes und Weltwissens.
Jerusalem war als
Auferstehungsort Christi demnach der eindeutige Mittelpunkt der
christlichen Welt – und keineswegs Rom. Diese Welt wurde umgriffen
von der Gestalt Jesu, die mit Kopf (oben, Osten), Händen (rechts und
links, Süden und Norden) und Füßen (unten, Westen) dargestellt ist.
Asien nahm die gesamte obere Hälfte der Karte ein,
Europa und Afrika mussten sich die untere Hälfte teilen. Bei den
geografischen Zuordnungen ging es nicht immer um die
realgeografische Verteilung – manchmal war die geistige Nähe zu
einem bestimmten Ort oder Ereignis wichtiger. Und je weiter die
Kartenzeichner in die unbekannten Randzonen kamen, um so mirakulöser
werden Welt und Wissen – hier trifft man die Exoten unter den
Menschen und Tieren, hier liegen die Gegenden, wo man als
Christenmensch besser nicht hingeht. Und dann hat die Weltkarte aus
der Heide noch eine aus jedem Rahmen fallende Besonderheit: Im
Paradies ist auf den ersten Blick alles wie immer. Die Schlange, der
Baum der Erkenntnis, Eva mit dem vermaledeiten Apfel und Adam. Bei
der schönen Ebstorferin aber hält auch Adam einen der verbotenen
Äpfel in der Hand. Die Erbsünde ist zweigeschlechtlich!“
MICHAEL ZICK, langjähriger bdw-Redakteur, schaut
gern hinter die Weltbilder der verschiedenen Menschheitsepochen.
Die Ebstorfer Weltkarte im
Überblick
um 1300: Entstehung der Ebstorfer Weltkarte
1830: Wiederentdeckung der Karte im Kloster
Ebstorf
1891: Fotografische Reproduktion in Schwarz-Weiß
in DIN A2-Größe. Der Philologe Ernst Sommerbrodt zieht
die schwer leserlichen Schriftzüge mit schwarzer Tinte nach und
koloriert die Figuren in Grauabstufungen.
1896: Neuedition der Karte, mit 16 Farben von Hand
koloriert und auf ein Quadratmeter großes Blatt gedruckt.
1930: Aus den Lichtdrucktafeln von 1891 entsteht
eine Rollkarte, die mit Temperafarben bemalt wird.
Dabei gibt es erhebliche Text- und Bildverluste. Sie hängt heute in
der Ebstorfer Landbauschule.
1943: Das Original verbrennt während eines
Bombenangriffs im Bunker des Staatsarchivs Hannover.
1950: Der Grafiker Rudolf Wieneke
fertigt mit der Vorlage von 1891 vier Karten im Originalformat von
13 Quadratmetern an und koloriert sie von Hand. Eine davon befindet
sich heute im Kloster Ebstorf.
Seit den 80er-Jahren: Der Lüneburger Informatiker
Martin Warnke digitalisiert die Karte und fertigt dann in
den Neunzigerjahren eine farbige Version fürs Internet an.
2006: Erscheinen der Buchedition
Der Erlanger Altgermanist Hartmut Kugler scannt dafür
die Lichtdrucktafeln von 1891 mit hoher Auflösung, übersetzt die
Texte neu und bezieht für die Neu-Kolorierung diverse Quellen ein.
Pauline Fedtke-Grefe ist Klosterfrau in Ebstorf und
erzählt Besuchern die Geschichte der Ebstorfer Weltkarte.
Welche Menschen kommen zu Ihnen ins Kloster?
Wir erleben regen Zuspruch: Es kommen
Seniorengruppen und Kirchengemeinden, Wissenschaftler, aber auch
junge Leute und Ehepaare mit Kindern. An manchen Wochenenden
besichtigen mehr als 200 Besucher die Weltkarte. Nur Busse voller
Japaner habe ich noch nicht erlebt.
Wann ist der Andrang am größten?
Die Klosterführungen finden zwischen April
und Oktober statt, weil es im Winter ohne Heizung zu kalt ist. Im
August, wenn die Lüneburger Heide blüht, besuchen uns besonders
viele Leute.
Wie wird die Karte geschützt?
Wir Klosterfrauen waren gegen Glas, wir
finden den lebendigen Kontakt zur Karte wichtig. Bei den Führungen
sind wir mit einem Zeigestock bewaffnet und achten darauf, die Karte
nicht zu berühren.
Haben Sie eine Ahnung, wo das fehlende Stück
der Karte sein könnte?
Im Kloster ist es bestimmt nicht mehr, das
ist sehr genau durchsucht worden. Es könnte sein, dass jemand es auf
seinem Dachboden wie einen Schatz hütet – aber das ist reine
Spekulation.
Haben Sie ein Lieblingsmotiv?
Ja. Am Rand der Erdscheibe gibt es einen
Drachen, der nach einer griechischen Sage die goldenen Äpfel im
Garten der Hesperiden bewacht. Sein Körper bildet einen Kreis, das
Symbol für Vollkommenheit. Für mich ist es das Symbol der
unendlichen Liebe Gottes zu den Menschen. Schön finde ich auch
Bethlehem, den Geburtsort Jesu: Über die Mauern schauen Ochse und
Esel, die sich über die Jahrhunderte in die Weihnachtsgeschichte
eingeschmuggelt haben. Doch auf der Karte sind die Namen
vertauscht: Der Ochse wird als Esel bezeichnet und der Esel als
Ochse. Ich glaube, da hat sich jemand einen Scherz erlaubt.“
Das Gespräch führte Carolin
Danner
Hartmut Kugler (Hrsg.). DIE EBSTORFER WELTKARTE
Kommentierte Neuausgabe in 2 Bänden
Akademie Verlag 2007, € 178,–
ISBN 978-3-05-004117-9
Multimedia:
CD-ROM „EBSKART“
Die Ebstorfer Weltkarte – ein mittelalterliches Weltbild
Für € 15,– zu beziehen von der Universität Lüneburg
Rechen- und Medienzentrum
Scharnhorststraße 1, 21332 Lüneburg
[Bild der Wissenschaft Ausgabe
11/2007, Seite 69 - Kultur & Gesellschaft]
Quellen
(1) Birgit Hahn-Wörnle, Die Ebstorfer Weltkarte.
Kloster Ebstorf
(2) Kulmbach,
Führer, Kunstverlag Josef Fink, 2000
(3)
L. Popp, Die Ebstorfer Weltkarte im Landschaftsmuseum Obermain in
der Plassenburg zu Kulmbach
(Faltblatt mit kurzen Erläuterungen und
Übersichtsplan)
(4) J. Wilke, Die Ebstorfer Weltkarte. Bielefeld
2002
(5) Hartmut Kugler (Hrsg.), Die Ebstorfer Weltkarte, Band I: Atlas
und II: Untersuchungen und
Kommentar; Akademie Verlag 2007 [178,00 €]
(6) Michael Zick, Die Schöne Ebstorferin; Bild der Wissenschaft,
Ausgabe 11/2007, S. 69ff,
Kultur und Gesellschaft |
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zur Übersicht (Links)
Abb. 1
Neue Digitalisierung (nach Hartmut Kugler:
4,6 MB)
Abb.
2 =>
größer: 4,0 MB!
Karte aus dem
Projekt EBSKART
der Leuphana Universität Lüneburg
Abb. 3 =>
größer
(~730 KB)
=>
Ausschnitt
noch größer
(~ 2,31 MB)
[dort u. a. mit den Klöstern auf der
Reichenau]
Ausschnitt aus der (hier stark rekonstruierten) Ebstorfer Weltkarte,
am linken Rand etwas ergänzt, mit den Quellflüssen von Naab, Main, Saale
und Mulde mit einem
Teil von Thüringen und Sachsen ('SAXONIA'),
darunter
Magdeburg. Rechts von der Plassenburg liegt Nürnberg, rechts davon Forchheim, schräg darunter Bamberg ('Pavenborch') -
weiter links
Orlamünde,
Naumburg und Halle, Erfurt und
Quedlinburg.
Darüber liegt Meißen; oberhalb hiervon ist Prag zu sehen.
[Ausschnitt aus (1): B. Hahn-Wörnle, Ebstorfer
Weltkarte, S.69, Abb. 44, entnommen aus K. Miller, Die Ebstorfer Weltkarte des ehemaligen Frauenklosters Ebstorf,
Stuttgart 1844: 44 ]
Abb.
4
Kleinerer Ausschnitt
aus der Ebstorfer Weltkarte
mit der Plassenburg (obere Mitte) - Fehlstellen
nicht ergänzt [aus
(5), S. 170]
=>
siehe hierzu
auch eine größere Übersicht
[aus (5): Segment 44]
Abb. 5
Neueste digitalisierte Edition, herausgegeben
von
Hartmut Kugler;
Beilage zu (5) =>
größer (4,8 MB!)
Hier ist Osten oben! (6)
Abb. 7
Von Alexander eingesperrt wurden die
Völker
Gog und Magog. Sie essen Menschenfleisch und
trinken
Blut.
Darunter das Kaspische Meer zu sehen.
=>
Die Ebstorfer Weltkarte
[Lexikon Wikipedia]
=>
Zu den Monstern GOG
und MAGOG
=>
Eine Zeitreise ins
Mittelalter
[Artikel in Bayerischen Rundschau]
=>
Die Ebstorfer Weltkarte,
ein Spiegel des
mittelalterlichen Weltbildes
Ein Projekt der Universität Lüneburg
mit einer Fülle von Informationen
=>
Links und Seiten zur
Ebstorfer Weltkarte
=>
Zu einem kleinen
Web-Album bei PICASA
mit
weiteren Bildern und Informationen
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