Archäologisches Lexikon

Eine ständige Bedrohung: Die Ungarneinfälle


 [zurück zu Pfeil und Bogen] 

 [zurück zum Rundgang]

"... vor den Pfeilen der Magyaren beschütze uns, oh Herr!"
Die alljährlichen Überfälle der Reiterkrieger beraubten die Landbevölkerung ihrer Ernte und Vieh. Geschickt wichen die mobilen Einsatztrupps jeder Festung, in der sich die frühmittelalterlichen Kämpfer zusammen mit ihrer schweren Reiterei verschanzten, aus. Eine Vielzahl selbständig operierender Reiterverbände durchzog das ungeschützte Land und vermittelte so den Eindruck ihrer Allgegenwärtigkeit.

Die Taktik der Magyaren
Welch ungeheure Waffe die berittenen Schützen waren, kann man sich nur vorstellen, wenn man weiß, daß ein geübter Schütze 20 bis 30 Pfeile pro Minute in gestrecktem Galopp aus fast jeder Position abfeuern kann. Seine absolute Treffsicherheit dürfte zwar nur bei 40 Metern gelegen haben; die weiteste Distanz, die der Pfeil zurücklegt, beträgt jedoch erstaunliche 250 bis 300 Metern. 

Eine ständige Bedrohung
Krieger des Reitervolks der Magyaren erschienen erstmals in den Jahren 892 – 894 als Söldner für Kaiser Arnulf. Doch nach ihrem Zug über die Karpaten begannen sie im Jahr 899 mit einem Einfall in Italien, bei dem sie dem Heer des lombardischen Heeres König Berengars I. eine herbe Niederlage zufügten, eine Serie von stetigen Beutezügen nach Westen.

906 zerschlugen die Magyaren das mährische Reich und fielen nach Sachsen ein. Im Jahr 907 sammelte Markgraf Luitpold von Bayern ein für die karolingische Zeit riesengroßes Heer zur großangelegten Offensive gegen die Ungarn nach Pannonien. Sein Ziel war es, die alljährlichen Raubüberfälle der Magyaren endgültig zu unterbinden. Mit seinem gewaltigen Heerzug, an dem auch der Erzbischof von Salzburg und Fürst Borovoij der Tschechei teilnahmen, kam es am 4.Juli 907 zur Schlacht mit Àrpad und seinen ungarischen Reiterhorden. Sie wurde mit äußerster Erbitterung gekämpft und endete mit der völligen Vernichtung von Luitpolts Heer. Der Markgraf fiel, ebenso der Erzbischof, vermutlich auch Fürst Borovoij, er wird seither in den Quellen nicht mehr erwähnt. 

Kampf gegen die Ungarn
Nachdem die Magyaren 912 einen Beutezug nach Franken und Thüringen unternommen hatten, zogen sie 913 wieder durch Bayern und Schwaben. Wieder versperrte ihnen Arnulf mit einem starken Heer den Rückweg. Diesmal war der Sieg deutlich - angeblich überlebten nur 30 Magyaren. Zumindest scheint es in der Folge der Schlacht zu einem Abkommen mit den Magyaren gekommen zu sein, wahrscheinlich um die Auslieferung gefangener magyarischer Führer.

Der Sieg auf dem Lechfeld
Als im Jahr 955 eine ungarische Gesandtschaft in Sachsen eine Erneuerung von Verträgen anbot, schlug Otto das Angebot aus. Durch den ungarischen Angriff mussten die wichtigsten Oppositionellen Ottos Heerfolge leisten. Otto stellte das magyarische Heer in der Schlacht auf dem Lechfeld. Anders als sein Vater bei Riade, gab sich Otto nicht mit der Vertreibung zufrieden, sondern ließ den fliehenden Magyaren auflauern und diese niedermachen, bis das gesamte Heer aufgerieben war. Diese Strategie der Vernichtung von Eindringlingen zeigte sich auch gegen die Abodriten in der Schlacht von Raxa, als 700 Soldaten enthauptet wurden.

Die Ungarn werden sesshaft
Infolge der Schlacht auf dem Lechfeld begannen die Magyaren einen sesshafteren Lebenswandel zu entwickeln. Das spätere Königreich Ungarn konnte nun entstehen, während weitere Beutezüge nach Westen unterblieben.
[Auszug aus Wikipedia: => Ungarnkriege und www.steppenreiter.de]

Ungarnrefugien zum Schutze der Bevölkerung
Nachdem es schon 926 es zu einem verheerenden Ungarneinfall gekommen war und die Steppenreiter bereits 899 Bayern angegriffen hatten., erließ  König Heinrich I. auf dem Wormser Reichstag eine Burgenordnung, in der die Anlage zahlreicher großer Burganlagen beschlossen wurde. Einige der Burgen wurden neu geplant, meist wurden jedoch ältere Wallanlagen ausgebaut und modernisiert. So erteilte im Jahre 908 König Konrad I. dem Bischof von Eichstätt den Auftrag, Refugien gegen die Ungarneinfälle anzulegen, die nach dem Sieg Ottos des Großen im Jahre 955 jedoch überflüssig wurden. Zusätzlich ordnete der König die Befestigung bisher schutzloser Städte und Märkte an, und es entstand rasch ein dichtes Netz militärischer Stützpunkte und Fluchtburgen in den gefährdeten Gebieten.
 
Einige Burgwälle waren schon vor dieser Zeit angelegt worden, so etwa auf dem Turmberg bei Kasendorf. Hier wurde über der latènezeitlichen Befestigung nach Osten hin als Annäherungshindernis gegen die ungarischen Reiter ein gewaltiger Schildwall aufgeschüttet, dem ein Graben vorgelagert war.

Ungarnzeitliche Pfeilspitzen
Die bei uns gefundenen, doch recht seltenen ungarischen Pfeilspitzen bezeugen, dass auch das nördliche Oberfranken gelegentlich von Ungarneinfällen betroffen war.
Insgesamt wurden aus unserem Raum die beiden Exemplare von Weismain-Neudorf, LIF (vom Kahlberg, einer vorgeschichtliche Befestigung, die nach Osten hin mittelalterlich überbaut wurde), von Wonsees (Abschnittsbefestigung auf dem Weiherstein), vom Kasendorfer Turmberg und neuerdings (2011) auch eine vom Rauhen Kulm/Opf. bekannt.

In Heft 2 / 2013, S. 8 f der Bayerischen Archäologie sowie im Archäologischen Jahr in Bayern 2012, S. 119 werden acht neu aufgefundene ungarnzeitliche Pfeilspitzen aus der Oberpfalz abgebildet, die aus einer bisher unbekannten Burg in Utzenhofen (Lkr. Amberg-Sulzbach) stammen.
In einer Grube inmitten des Chors der Pfarrkirche St. Vitus lagen neben anderen Metallteilen 8 Pfeilspitzen mit Schaftdorn. Wegen einer textilen Umwicklung  vermutet der Ausgräber Mathias Hensch ihre Verwendung als Brandpfeile.
 
  Bild 11 (Abb. 196)
Teile des Fundinventars aus einer Grube des beginnenden 10. Jahrhunderts

Quellen 
(1) H. Riesch, Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit.
     Eine Quellenkunde und Rekonstruktion des frühmittelalterlichen
     Bogenschießens; Karfunkel Verlag Wald-Michelbach 2002
(2) "Europas Mitte um 1000", Katalog S. 175; Theiss Verlag
     Stuttgart 2000
(3) B.-U. Abels, Archäologischer Führer Oberfranken,
     Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1986  
(4) Bayerischen Archäologie, Heft 2 / 2013, S. 8 f
(5) Das Archäologische Jahr in Bayern 2012, S. 119

   Bild 12

Mittelalterliche Pfeilspitzen [AUF 7, 1989/90, S. 63, Abb. 31, Nr. 16]
1-8 Neudorf-Kahlberg, Lkr. Lichtenfels, 10-13: Oberküps, 16 Wonsees.

    Bild 1

Eine Illustration aus dem Stuttgarter Psalter (um 830)
gibt ein Kampfgeschehen zwischen Awaren und Franken wieder.
[(1), S. 86, Tafel 53]


   
 Bild 2

Rekonstruktion eines magyarischen Kompositbogens
aus Grab 14 von Karos (2); Maße von Kerbe zu Kerbe 
links entspannt: 125, Mitte gespannt: 135, rechts ausgezogen
Auszugslänge 75 cm [=> atarn.org]
 

    Bild 3

Reich der Ottonen und Salier [Wikipedia]   => Karte in HiRes
 

 Bild 4    Bild 5

Pfeilspitzen von Neudorf-Kahlberg,
Stadt Weismain, Lkr. Lichtenfels: 10. Jhdt.;
Länge: 6,2 bis 18,6 cm - links eine "ungarische" Form.
[(2) Katalog S. 175] => Zeichnung [BLfD in AUF 7,
 1989/90, S. 63, Abb. 31, Nr. 16]
                                             
 

6      7 

Ungarische Pfeilspitze von der Abschnittsbefestigung
auf dem Weiherstein bei Wonsees: 5,4 cm lang, Inv.-Nr. 2299.


 

    Bild 8                             Bild 9

Ungarische Pfeilspitzen                  Pfeilspitze von der Unterburg
Kasendorfer Turmberg                      des Rauhen Kulms/Opf. 2011
[Inv.-Nr. 389; 5,9 cm lang.]                [Foto: Hans Losert]
in Vitrine 22 (unten), zusammen         
mit anderen Pfeil- und Lanzenspitzen.
 

   Bild 10

Alle Pfeilspitzen vom Rauhen Kulm/Opf.
von der Ober- und der Unterburg,
rechts die 'ungarische' Pfeilspitze
[Foto: Hans Losert]


  Bild 12       

Acht Pfeilspitzen mit Schaftdorn aus der                
Kirche von Utzenhofen (Lkr. Amberg-Sulzbach)
[Das Archäologische Jahr in Bayern 2012,
S. 119; Foto: Mathias Hensch]


"Von den Pfeilen der Ungarn befreie uns, Herr!"
... 'Von  großer Bedeutung für die Einordnung der Befundsituation sind u. a. 
Fragmente eines Trichterbechers aus Glas (Abb. 11 links). Derartige Glasgefäße
des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts sind sehr selten und treten nur in einem herausgehobenen sozialen Milieu auf. Dicht beinander lagen außerdem zahlreiche
Eisenteile in der Grubenverfüllung, darunter eine frühmittelalterliche Gürtelschließe,
eine Pflugreute, ein kleiner säbelförmiger Eisenbeschlag sowie insgesamt acht Pfeil-
eisen mit rhombischem Blatt und Schaftdorn (Abb. 196).
Solche Pfeileisen wurden lange mit den zu Beginn des 10. Jahrhunderts einfallenden
Ungarn in Verbindung gebracht. Obwohl diese Zuweisung  mittlerweile   methodisch  angezweifelt wird und die Ungarneinfälle als Teil politischer und gesellschaftlicher
Krisen in Mitteleuropa von der Forschung sehr viel differenzierter als früher gesehen werden, steht außer Frage, dass auch ungarische Reiter mit ihren Reflexbögen Pfeil-
eisen dieser Art benutzten. In Utzenhofen zeigt sich zumindest ein Zusammenhang
der Geschossspitzen mit der Brandzerstörung eines repräsentativen Holzbaus, der
mit guten Argumenten als Kirche zu deuten ist. So ergab die laufende Restaurierung
der Pfeileisen, dass es sich offenbar um mit Textil umwickelte Brandpfeile handelte,
die in Brandbeschleuniger getaucht werden konnten.
Bei aller Vorsicht halte ich es daher für nicht unwahrscheinlich, hier einen seltenen archäologischen Anhaltspunkt für die gewaltsame Zerstörung einer Kirche durch ungarische Reiter zu Beginn des 10. Jahrhunderts vorliegen zu haben. Der in einem zeitgenössischen Messbuch überlieferte Litaneiruf  De sagittis Hungarorum libera
nos, domine! (Von den Pfeilen der Ungarn befreie uns, Herr!) bekäme mit der Ent-
deckung in der Kirche St. Vitus in Utzenhofen womöglich einen „archäologisch wahrnehmbaren Widerhall°, wie man ihn sonst nur ganz selten antrifft. Man darf
gespannt auf die laufende Auswertung der Grabungen sein' [Mathias Hensch in (5)].


=>
 Magyaren stürmen Bayern
[steppenreiter.de]

=>
 Magyarische Bögen [atarn.org (engl.): Rekonstruktionen]

=>  Ungarnkriege [Wikipedia]

=>  Ungarnwälle   [Wikipedia]

       [zurück zu Pfeil und Bogen]

       [zurück zum Rundgang]


       nach oben         [home]                      Bild 7 und 8: D. Sch.                                    Dieter Schmudlach (D. Sch.): 8.01.2007/30.11.2013