Archäologisches Lexikon


"Mode aus Modeln" - Spielzeug oder Gabenträger

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Fragmente von "Kruseler Püppchen" aus Weismain, Lkr. Lichtenfels 
1974 in Weismain gefunden:            Altfund vom 'Hohen Weg': 37,5/39/16 mm;
32,6/32/12mm (Privatbesitz)           ausgestellt im Rathaus von Burgkunstadt
[(3) Typ 4a]                                   [(3) S.118, Typ 2a, Nr. 19]

Fundgeschichte
Beim Ausheben eines Fundamentgrabens auf seinem Grundstück fand Herr Ottmar Fick 1974 außer einigen (wesentlich älteren) frühslawischen Scherben das Kopfteil eines Tonpüppchens (Abb. 1). Als dieses im letzten Jahr Herrn PD Dr. Hans Losert vorgelegt wurde, erkannte er es als Bruchstück eines "Kruseler Püppchens".
Bei dem rechten Köpfchen (Abb. 2), welches in der Ausstellung im historischen Rathaus von Burgkunstadt zu sehen ist, handelt es sich um einen Altfund, der schon vor längerer Zeit am 'Hohen Weg', einer von Weismain in Richtung Bamberg führenden Altstraße, gemacht wurde.


"
Kruseler" oder "Krüseler"
Im 14. und 15. Jahrhundert waren die aus hellem Ton gefertigten "Kruselerpuppen" in Süddeutschland sehr beliebt. Benannt wurden sie nach ihrer Kopfbedeckung, einer voluminösen, mit Rüschen besetzten Haube mit Schleier, welche zwischen 1350 und 1425 [(7), S. 196] von adeligen und bürgerlichen Damen getragen wurden. Die Materialien des Kruselers waren Seide, Leinen oder Baumwolle, die mit Stärke, Brennschere oder durch Pressen in die gewünschte Form gebracht wurden. Die Anzahl der Tuchlagen konnte variieren. So waren in der Kleiderordnung von Speyer (1356) vier Tuchlagen erlaubt, in Frankfurt (1356) waren 6 Rüschenlagen gestattet, in Ravensburg (1371) hingegen bis zu 19 Rüschen [3]


In eine Model gedrückt

Wurden die Spielzeuge und Heiligenfiguren im 12. und 13. Jahrhundert noch von Hand modelliert, so ging man im 14. Jahrhundert dazu über, diese Figuren mit Hilfe von Modeln in Serie zu produzieren. Die figürliche Vorderseite entstand durch den Abdruck der Modelform mit hellem Pfeifenton, während die Rückseite zumeist flach blieb. Werkstätten von Bilderbäckern konnten bis jetzt in Utrecht, Köln und Worms archäologisch nachgewiesen werden. Auch ist eine Herstellung in Nürnberg anzunehmen, da im Nürnberger Umland unverhältnismäßig viele Kruseler Püppchen gefunden wurden (Verbreitungskarten in 'Mode aus Modeln' [3], S. 138 bis 145). => Verbreitung von Typ 3 [3, 142]

Auf einer Tafel eines Marienaltars des Konrad Witz (ca. 1440-1445/46)
 ist der Laden eines Figurenverkäufers abgebildet.
[siehe Abbildung 8
aus (6), S. 209, Abb. 18]


Spielzeug, Gabenträger oder
religiöse Weihegabe

Während das rechte Püppchen sicherlich als Spielzeug benutzt wurde, ist bei der linken Figur in Abb. 5 eine ovale, schildförmige Fläche zu sehen, in welche ehemals wohl eine Silber- oder Goldmünze mit Wachs hineingeklebt worden war. So konnte etwa bei einer Taufe oder  Hochzeit ein Geldgeschenk in einem passenden Rahmen übergeben werden. Hierüber sind jedoch keine schriftlichen Überlieferungen vorhanden.

Da die Figuren vom Typ 4 zumeist eine Zackenkrone tragen (wie etwa Abb. 1) und weniger detailgetreu sind als die Formen 1 bis 3, denkt man auch an daran, dass in der ovalen Fläche ehemals Heiligenbildchen, Reliefs aus Pappmaché, Reliquien oder Pilgerabzeichen eingeklebt waren. Es könnte also auch sein, dass es sich hier um religiöse Weihegaben oder Pilgerandenken handelt [3].
 
Verwendung als Spielzeug
So schenkte die Heilige Elisabeth Findelkindern in einem von ihr gegründeten Hospital
" ... Aller hande kinderspil, kruseln, fingerline vil,
di gemachet werden von glase unde ouch zu erden
[= Irdenware]
unde ander cleinode gnuoc".

[Aus einem Bericht "Das Leben der Heiligen Elisabeth" (um 1300) in ausgraeberei.de]


Quellen 
                                                                
(1) Babette Ludowici: Ein Tonmodel des 14. Jhds. aus Calw-Stammheim. In: Denkmalpflege in Baden-Württ. 21, 2/1992, 61- 63.
(2) Susanne Herramhof u. a.: Archäologische Funde und Ausgrabungen in Mittelfranken. Fundchronik 1970-1985, 1986/1987.
(3) Eveline Grönke, Edgar Weinlich: Mode aus Modeln. Kruseler Püppchen und andere Tonfiguren des 14. - 16. Jahrhunderts aus dem Germanischen Nationalmuseum u. a. Sammlungen (Wissensch. Beibände zum Anzeiger des GN, Band 14), Nürnberg 1998, 30 €.
(4) Archäologie in Deutschland, Heft 1 . 2004, S. 30 f, Theiss Verlag.
(5) Ausgrabungen und Funde (Lit. 3) 10, 1995-96, S. 66 und 100
(6) Stefan Gerlach: Mittelalterliche und frühneuzeitliche Tonfiguren aus Unterfranken. In: Mainfränkische Studien, Band 63 1998, V. Dr. Faustus.
(7) Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300 (Katalog zur Ausstellung), Theiss Verlag Stuttgart 1992.


                        
  Verlag GmbH

=> Spielzeug im Mittelalter: Keramik
                                   [ausgraeberei.de]

=> Weitere Funde von Kruselern  (2)


   3

"Kruseler Püppchen" (14./15. Jhdt.)
[Archäologie in Deutschland, Heft 1, 2004, S. 31]

 

     4

Auch die Madonna von Pfons des späten 14. Jahrhdts.
im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck
ging mit der Mode und trug, wie oft auch Klosterfrauen,
einen Kruseler.
=>  mehr Infos zur Madonna [www.sammellust.tiroler-landesmuseum.net]

  

    5                   7

Pferdchen mit Reiter und "Kruseler Püppchen": 14./15. Jhdt.
[Archäologie in Deutschland, Heft 1,      Burg Endsee, Gde. Steinsfeld,  204, S. 30, Germanisches                     Lkr.Ansbach [Fundchronik
Nationalmuseum Nürnberg]                   1970-85, S. 383f., Abb. 215/1]
  Verlag GmbH                    => alle Figuren [3, Umschlagbild]
 

     8                  9

Laden eines Figurenverkäufers      Kloster Blaubeuren (um 1450)
(um 1445)
Ausschnitt Tafel eines        Agnes, Gräfin von Württemberg,
Marienaltars [(6), S.209, Abb.18]      mit Kruseler und 'Gebende'
                                                          und ihr Sohn Graf Ulrich von 
                                                          Helfenstein + 1361 [N. Hübsch]
    10                         11
Adelige Dame mit Kruseler        Fragment von Unterhaid,
von der Adelsgrablege in der          Gde. Oberhaid, Lkr. Bamberg
Stiftskirche zu Wertheim,                [AuF (Lit. 3) 10, 1995-1996,         
Ende 14. Jahrhundert.                      S. 66, 100, Abb. 30].                     

 

Verschiedene Bruchstücke mittelalterlicher Tonfiguren (Abb. 12)
8: Tüschnitz,  9: Hollfeld, 10: Reichmannsdorf, 12: Dreuschendorf  
[AuF (= Lit. 3) 9, 1993-1994, Abb. 34] Höhe von Nr. 9: 8,0 cm.

=> Weitere Funde von Kruselern  (2)
=> Spielzeug im Mittelalter: Keramik [ausgraeberei.de]
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