Archäologisches Lexikon


Adelsspiele, Ritterkämpfe, Volksvergnügen

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[Aufsatz als Leseprobe aus "Archäologie in Deutschland" Heft 1, 2004 S.28 ff.] [zurück zu Spiele der Kinder]


"Lange gingen Historiker davon aus, dass Kinder in der harten Alltagswelt des Mittelalters kaum oder nur wenig Zeit zum Spielen hatten. Diese düstere Vorstellung hat die Forschungsgeschichte teilweise bis heute geprägt. Bild- und Schriftquellen sowie zahlreiche mittelalterliche Spielzeugfunde, die in den letzten Jahren zutage kamen, haben hier aber deutlich andere Erkenntnisse gebracht. Eins ist inzwischen klar: Es gab zahlreiche Gelegenheiten zum Spiel und zur Zerstreuung.

Mit Zunahme der Stadtgrabungen häufen sich in den letzten Jahren auch spätmittelalterliche Spielzeugfunde, oft stammen sie aus Latrinen, verursacht durch die guten Erhaltungsbedingungen in diesem feuchten Milieu. Sonst sind Funde aus organischen Materialien wie Steckenpferde oder Stelzen, Schweinsblasen, Springseile oder Papierdrachen nicht mehr nachweisbar, auch Spielkarten sind rar. Spielzeug aus Ton, Metall oder Knochen hingegen erhielt sich gut. Allerdings ist unklar, ob es sich bei Knöchelchen um Spielzeug oder reinen Schlachtabfall gehandelt hat. Auch erlauben die Funde nicht immer eine exakte Trennung zwischen Kinder- und Erwachsenenspiel.

Kreisel-, Knöchel-, Kegelspiele
Ein klassisches Kinderspielzeug war der Kreisel. Er wurde entweder mit der Hand oder durch eine Peitsche, die um die Rillen des Kreisels gewickelt wurde, angetrieben. An der Spitze konnte der Kreisel einen Metallstift haben, der die Reibung verminderte. Wie Funde aus Konstanz und Freiburg zeigen, gab es bei den Kreiseln unterschiedliche Formen und Größen.

Mit Astragalen, Knöchelchen des Sprunggelenks eines Schafes, spielte man schon seit der Antike. Die vier länglichen und zwei kleineren Flächen, auf die der Astragal allerdings niemals fallen konnte, eignen sich ideal zum Würfeln, dabei besaß jede Seite einen ändern Wert. Rinderzehenknochen, sog. Phalangen, wurden hingegen zum Kegeln benutzt. Dabei stellte man mehrere, mit Kerben verzierte Exemplare auf und bewarf sie mit einem weiteren Knöchel. Bis in die frühe Neuzeit galt Kegeln als Glückspiel und nicht als bloßer Zeitvertreib. Daraus folgt, dass Würfel und Kegel also nicht den Kindern vorbehalten waren.

Puppen und Puppentheater
Zu den eher seltenen Funden gehören Puppen aus Holz, so genannte Docken, die vom Dockenmacher gefertigt wurden. Etwa aus dem Jahr 1300 stammt das Exemplar, das in einer Lübecker Latrine bei Stadtgrabungen entdeckt wurde. Häufiger sind Puppen aus Ton überliefert. Meist wurden sie von den »Bilderbäckern«, die sonst Heiligenfigürchen und Votivgegenstände herstellten, produziert. Im süddeutschen Raum waren im 14./15. Jh. die »Kruselerpuppen« sehr beliebt, so benannt nach ihrer Kopfbedeckung, dem »Kruseler«, einem Schleier mit seinem Ausputz durch Rüschen und Krausen. Sicherlich spielten nicht nur Mädchen mit Tonfigürchen. Das Puppentheater zum Beispiel erfreute Jung und Alt. Mit den spätmittelalterlichen Reiter­ und Tierfigürchen und den zahlreichen weiblichen Figuren imitierten die Kinder wohl beim Tischritterspiel das Turnier und den Minnedienst, wie man es von Fresken und Kodexminiaturen kennt.

Murmeln, Kugeln und Bälle
Besonders häufig wurden bei Grabungen Tonmurmeln gefunden. Wesentlich seltener sind gedrechselte und mit einer Rille versehene Holzkugeln. Einige Exemplare stammen aus der Latrine des Freiburger Augustinerklosters. Ob die Mönche damit kegelten oder Boccia spielten, wissen wir nicht. Von beiden Spielen gibt es Darstellungen aus dem höfischen Bereich. Nur schwer nachweisbar sind Bälle. Da sie ursprünglich aus weichem Material, meist Leder, gefertigt und mit Tierhaar, Moos oder Federn gefüllt waren, hat sich nur wenig erhalten. Je nach Größe, Material und Füllung eigneten sie sich zum Schlag- oder Wurfballspiel. Luftgefüllte Lederbälle, sog. »pallone« kennt man erst seit dem 15. Jh. aus Italien.

Ballspiel und Tanz
Auch die erwachsene Stadtbevölkerung spielte Ball z.B. im Ballhaus. Aus der Verbindung von Ballspiel mit Reigentanz entstand der Ball (-Tanz). Der Tanz der Städter, der im Ratssaal oder den Zunfthäusern stattfand, näherte sich mehr den höfischen Formen an und unterschied sich deutlich vom springenden Tanz oder Reigen, der gern von den Bauern getanzt wurde. Ballspiele und Tänze waren vielleicht deshalb in allen Kreisen so beliebt, weil es hier keine Geschlechtertrennung gab. Das Wandfresko aus Schloss Runkelstein in Bozen zeigt auch den erotischen Charakter des Ballspiels. Es wird zur Begegnung der Geschlechter, bei dem sich die Herren der Gunstzuweisung der Damen fügen mussten.

Brettspiele, Schach und Trictrac
Aus dem vorderen Orient gelangte die Kenntnis des Schachspiels nach Europa. Bild- und Schriftquellen belegen, dass Brettspiele wie Schach und Trictrac, ähnlich dem heutigen Backgammon, zum beliebtesten Zeitvertreib der höfischen Gesellschaft, aber auch von Klerus und Stadtbevölkerung gehörten. Die Unterscheidung, wer damit gespielt hat, findet sich im Material. Waren die Figuren aus Elfenbein oder Halbedelstein geschnitten oder aus Holz geschnitzt? Besaßen die Spielsteine geschnitzte Sagengestalten, wie auf Burg Bälden-Stein bei Gammertingen, oder waren es einfache Exemplare aus Ahorn oder Buchenholzscheibchen? Zwei Trictrac-Bretter kamen in der Latrine des Freiburger Augustinerklosters zum Vorschein: bei dem einen waren die Spitzen, die das Spielfeld unterteilen, aus Edelholz eingelegt, beim andern nur in ein ganz schlichtes Tannenholzbrett eingeritzt. Brett- und Kartenspiele wurden nicht nur in den Wirtshäusern und Spielplätzen der Stadt, sondern fast überall gespielt. Immer wieder versuchte man die Spielleidenschaft einzudämmen. Die Standpauke, die der Starprediger Capistranus 1454 den Ulmern hielt, hatte zur Folge, dass die Ulmer ihre Spielbretter und Würfel auf dem Ulmer Münsterplatz aufhäuften und verbrannten.

Turniere um Ruhm, Ehre und einen Kuss
Die ersten großen organisierten sportlichen Ereignisse in der Stadt waren vom Adel veranstaltete Turniere. Diese ursprünglich auf den Burgen stattfindenden Spiele verlagerten sich im Hochmittelalter in die Städte. Das Erste dieser Art ist für 1184 aus Worms überliefert. Solche prunkvollen Veranstaltungen fanden als öffentliche Ereignisse anlässlich von Hoftagen, Schwertleiten oder Hochzeiten statt. Daneben gab es nach wie vor Turniere als Bestandteil des Minnedienstes, bei denen nur um der verehrten Damen Willen gekämpft wurde. Sie waren es dann auch, die den Preis an den ruhmreichen Sieger überreichten. Während in der Frühzeit des Turniers um Ruhm und Ehre gekämpft wurde und der Preis rein ideeller Natur war - z. B. ein Sperber, ein Kranz, ein Kuss -, kämpften im Spätmittelalter die »Glücksritter«, verarmte Adelige, um materielle Gewinne. Beim ritterlichen Turnier werden zwei Formen unterschieden: zum einen der Massenkampf, bei dem eine ganze Anzahl von Rittern mit stumpfen Waffen gegeneinander antrat, und zum anderen der Zweikampf mit scharfen Waffen.

Kostenfaktor für die Stadtbevölkerung
Den ansässigen Stadtbewohnern blieb die Teilnahme an den Turnieren verwehrt, diese war ausschließlich an die adelige Herkunft geknüpft. Die Städte und ihre bürgerliche Gesellschaft bildeten den Rahmen der Veranstaltung und hatten für Verpflegung und Schutz der adeligen Teilnehmer zu sorgen. So mussten etwa im Jahr 1442 anlässlich eines Turniers zur Fastnacht in Augsburg 1360 gewappnete Ordnungshüter für 54 Ritter und 300 Turnierteilnehmer gestellt werden.

Von Scharfschützen und »Pritschenmeistern«
Als Gegenpart zum adeligen Turnier entwickelte sich in den Städten das Schützenfest, das keine so engen Standesgrenzen kannte und bei dem - neben dem Schießen - auch »offene Spiele« ausgetragen wurden. Diese etwa im 14. Jh. entstandenen Feste, die meist vor der Stadtmauer stattfanden, erlebten im 15. und 16. Jh. ihren Höhepunkt. Beliebte Termine waren vor allem die Fastnacht, der Namenstag des Stadtpatrons und die Kirchweihe. Für die Durchführung des Schießens war ein Ehrenausschuss verantwortlich. Dieser handhabte die Schießordnung, prüfte Waffen und Bolzen, setzte die Einlagen an Geldbeträgen fest und schlichtete Einsprüche. Eine besondere Disziplin war das Königsschießen, mit dem Ziel, einen Vogel auf der Stange zu treffen. Den besten Schuss hatte derjenige, der »den Vogel abschoss«. Die Scheibenmitte war mit einem »Nagel« versehen. Sieger war, wer also »den Nagel auf den Kopf« oder »ins Schwarze traf«. Beim Armbrustschießen betrug die Entfernung 120 bis 240 Schritt, mit der Büchse doppelt so viel. Zur Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung gab es den »Pritschenmeister«, der mit seiner »Pritsche« aus Holz Verstöße der Schützen oder vorwitziges Vordrängen der Zuschauer ahndete.

Laufwettbewerbe und schweinische Gewinne

Neben dem Schießwettbewerb, an dem nur die städtische Oberschicht teilnehmen durfte, wurden »offene Spiele« für jedermann ausgetragen. Dazu gehörten zum Beispiel Laufen, Springen und Steinstoßen. Auf einigen Schützenfesten gab es Wettläufe für Knechte und Mägde und von Stadt zu Stadt unterschiedlich auch für Bürgerinnen und Bürger. Vom Nürnberger Fest von 1442 heißt es, dass Frauen und Töchter der Bürger und Bauern teilnahmen, »hübsche Frawen und gemain Weiber«. Dagegen wird den Teilnehmerinnen in Augsburg nachgesagt, dass »kain ehrbare Frau« dabei war. Ferner veranstaltete der Rat der Stadt Nördlingen 1442 zugleich einen Wettlauf für Knechte und Mägde, allerdings nur für die Leute »die man heyst die gemeynen.« Zu gewinnen gab es neben Geld auch unterschiedlich wertvolle Sachpreise. Auf dem Züricher Schützenfest von 1472 beispielsweise erhielt der Beste im Laufen, Springen und Stoßen einen Gulden zum Sieg und in Stuttgart konnte man 1501 auch erlesene Tuche und Stoffe wie Barchent oder Lyndisch Hosen (Londoner Hosen) erhalten. »Schwein gehabt« hatte derjenige, der den letzten Gewinn beim Schießen, den »Pritschenschuss«, hatte. Er bekam eine Sau mit Ferkeln überreicht." 

[
ANDREA BRÄUNING]                                                                                                     Verlag GmbH

Quellen                                                                 
(1) Archäologie in Deutschland, Heft 1 - 2004, S. 28ff, Theiss Verlag
(2) Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300 (Katalog zur Ausstellung), Theiss Verlag Stuttgart 1992.

 

   Bild 1

Pieter Brueghel der Ältere: Kinderspiele   
(Ausschnitt) von 1560   => mehr dazu [wissen.sdr.de]

 

 

 

 

Die Spielkugeln mit einem Dm. von 11-13,5 cm sind aus Holz gedrechselt und haben eine deutlich erkennbare Rille.       Bild 2

Kreisel, Würfel und Spielkugeln aus der Grabung 
in Konstanz am Fischmarkt und der Freiburger 
Augustinerlatrine (nach 1278)        [(1), S. 30]

 

 

                   Der beinerne Spielzeugwürfel vom Kasendorfer Turmberg stammt aus der Grabung von 1995. Die Kantenlänge beträgt knapp 1 cm.     Bild 3: Inv.-Nr. 2297

Beinerner Würfel vom Turmberg bei Kasendorf;
Kantenlänge knapp 1 cm 

 

 

 

  4     5

Um das 14/15. Jh. waren Kruselerpuppen,
so genannt nach ihrer Kopfbedeckung, 
ein beliebtes Spielzeug im süddeutschen Raum.
[Archäologie in Deutschland, Heft 1, 2004, S. 30/31
 Germanisches Nationalmuseum Nürnberg]

 

 

 

   Bild 6

Dieses Ensemble von Tier- und Reiterfigürchen 
wurde am Konstanzer Fischmarkt geborgen. [(1), S. 34]
 

 

 

 

 

    Bild 7

Ein Import aus dem Orient wurde zum beliebtesten 
Zeitvertreib des Adels: Herr Markgraf Otto von Brandenburg (1266-1309) mit seiner Dame beim Schachspiel. [(1), S. 32]

 

 

 

Turm (Mitte), Springer (rechts) und sechs Bauern sowie vier Spielsteine; Höhe des Turms 4,4 cm - 11-12. Jh.     Bild 8

Schachfiguren und Brettspielsteine aus Bein
von der Burg Baldenstein bei Gammertingen. [(1), S. 32]

 

 

 

       Bild 9

Trictacbrett aus Hartholz und Spielsteine aus 
der Augustinerlatrine in Freiburg (nach 1278). [(1), S. 32]

 

 

 

 

 

 

 

 

  10

Großes Schützenfest in St. Gallen 1527:
Im Vordergrund findet das Büchsen
schießen statt. In der Bildmitte rechts sieht man den »Pritschenmeister« oder »Platznarr«, wie er einen Teilnehmer, der gegen die Schützenordnung verstoßen hat, verdrischt. Links im Bildhintergrund wird ein Wettlauf ausgetragen. Daneben findet ein Steinstoßwettbewerb statt. Ganz hinten im Bild spielt man Karten, musiziert, tanzt und trinkt. Die Männer in den halblangen Mänteln gehören zum Ehrenausschuss, der für die Durchführung des Festbetriebs verantwortlich war.
[(1), S. 32]

 

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