[Zweifel an der Opfertheorie]
"Als „Ötzi", der weltberühmte Gletschermann
vom Similaun, geboren wurde,
war die
Jungfernhöhle schon eine Kultstätte
mit über
1000-jähriger Geschichte. Das
unscheinbare
Felsloch am Rande des Albabbruches,
unweit von Tiefenellern gelegen,
öffnet wie ein
Fenster den Blick auf die letzten
7000 Jahre Heimatgeschichte. Ein Abgrund,
der schaudern lässt. Die Ausgräber
des Bayerischen
Landesamtes für Denkmalpflege
entdeckten 1952 auf dem Grunde
eines drei Meter
tiefen Schachts neben vielen
steinzeitlichen Scherben Gebeine von 26
Kindern und
Jugendlichen sowie von 15
Erwachsenen. Ihre
Langknochen waren zertrümmert,
die Schädel wiesen am Hinterhaupt
Löcher auf, die Frontzähne fehlten.
Der
Schluss der Archäologen lag nahe: Die Jungfernhöhle, so wurde es
seither immer wieder dargestellt, dürfte eine Kultstätte gewesen
sein, in der die Bandkeramiker vor über 6000 Jahren Menschenopfer
darbrachten und unter großer Gewaltanwendung kannibalische Riten
vollzogen.
[Natürlich entstandene
'Sprödbrüche']
Erst vor wenigen Jahren hat der Mediziner Jörg Orschiedt Zweifel
an dieser blutrünstigen Interpretation geweckt. Bei seiner neuen
Untersuchung der Gebeine mit Hilfe gerichtsmedizinischer Methoden
wies Orschiedt nach, dass die Knochen bis auf eine Ausnahme
zertrümmert wurden, als diese Menschen schon lange Zeit tot waren.
Auch bei den Schädelverletzungen handelt es sich nach Darstellung
des Mediziners nicht um „frische" Öffnungen, sondern um spätere
„Sprödbrüche" ohne Anzeichen von menschlicher Gewalt. Gegen die
Annahme einer Opferstätte spricht auch die Tatsache, dass viele
kleinere Knochen, zum Beispiel von Hand- und Fußskeletten, nicht in
der Höhle zu finden waren und statt dessen kompakte, große und
stabile Lang- und Schädelknochenteile überdurchschnittlich häufig
vorlagen. Die Schlussfolgerung von Orschiedt liegt auf der Hand:
Seiner Meinung nach wurden in der Jungfernhöhle keine vollständigen
Körper deponiert, sondern Knochen von einer ersten Begräbnisstätte
dorthin umgelagert
[Hinterlassenschaften aus verschiedenen
Kulturen]
Waren die ersten Oberfranken Kannibalen oder hingen sie nur der
Zweitbestattung an? Welche These auch immer zutrifft, die Funde in
der Jungfernhöhle haben ein wenig Licht ins Dunkel der frühen
Geschichte des Bamberger Landes gebracht. Die Öffnung im Fels erwies
sich als ideale Zeiten-Falle. Der Lauf der Jahrhunderte ließ unter
dem Höhlenschlund einen regelrechten Schuttkegel entstehen. Die
Erhaltungs-bedingungen waren so ausgezeichnet, dass Scherben aller
jungsteinzeitlichen Kulturen, vor allem aber der Bandkeramiker,
enthalten waren und kaum gelitten haben. Auch Hinterlassenschaften
aus der Bronze- und Eisenzeit steckten in der Kulturschicht der
Jungfernhöhle. Noch im Mittelalter bis in die Neuzeit hinein wurde
das Loch aufgesucht und diente offenbar als Zufluchtsort und
Abfallgrube.
[Gesicherte Altersbestimmungen]
Am Alter der Skelettreste gibt es nur wenig Zweifel. Bereits 1975
hat eine radiologische Untersuchung ein Alter von etwa 6150 Jahren
ergeben. Ein 1995 erfolgter Test von zehn Knochenproben
unterschiedlicher Individuen in Zürich bestätigte die Einschätzung,
dass die Höhle vor allem von Bandkeramikern aufgesucht wurde. Acht
der untersuchten Knochenproben wiesen ein Alter von 6100 bis 6800
Jahren auf, zwei gehen auf die Zeit vor 4700 Jahren zurück.
Wer waren die Menschen, die vor 6000 Jahren auf dem Schlossberg
oberhalb Tiefenellerns lebten - und vermutlich an vielen Plätzen auf
dem Jura? Wenig ist über sie bekannt: Sie beherrschten den Ackerbau
und wohnten in bis zu 30 Meter langen Häusern; sie waren anders als
alle nachfolgenden Kulturen ein Volk, von dem keine Waffen und
Verteidigungsanlagen bekannt sind. Dafür besaßen ihre Keramikgefäße
eine bis dahin nicht gekannte Perfektion."
[Leseprobe aus UNTERWEGS im Bamberger
Land, Fränkischer Tag: S. 67 Tour 7] |
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Abb. 1
Der Eingang zur Jungfernhöhle
[Aufnahme: BLfD, Schloss Seehof]
Abb. 2
Die restaurierten
bandkeramischen
Gefäße
[(3), S. 17]
Abb. 3
Zwei bandkeramische Gefäße
[BLfD: Helmut Voss]
Höhe der Flasche: 13,5 cm
Abb. 4
Kopien der beiden Gefäße im
Archäologie-Museum
Oberfranken in Forchheim [Foto: D. Sch.]
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