Der Traum eines Rentners von Schätzen in einer
Höhle führte 1958 zur Entdeckung eines Kult-, Begräbnis- oder Opferplatzes,
der in verschiedenen Epochen benutzt wurde. Mit Schutt- und
Lehmschichten verfüllt, fand man:
-
sehr formschöne Gefäße der jüngeren Bandkeramik
-
Knochenstäbchen, sogenannte ‚Eßstäbchen’
Abb.
2:
Knochenstäbchen
-
Zerschlagene und angesengte Skelett- und Schädelreste
von mindestens 40
menschlichen Individuen: 10-11 Erwachsene
(darunter 9 zumeist jüngere Frauen),
4-5 Jugendliche sowie 23 Säuglinge und Kinder.
Eine C14-Untersuchung ergab ein Alter von 6.150
+/- 65 Jahren, was gut gut in die jüngere Linearbandkeramik passt. Immer wieder wurde die Höhle
als Opferschacht benützt:
- im Mittel- und Jungneolithikum,
- in der Bronze-, Hallstatt- und Latènezeit
- und noch im Mittelalter als Abfallgrube.
Es handelt sich
hier wohl um einen
altneolithischen Opferplatz, denn in allen Gebissen fehlten
die einwurzeligen Zähne, die man offenkundig herausgezogen hatte.
Nach dieser Zahnextraktion wurden die Opfer in der kleinen, 2 bis
3 m tiefen Höhle wohl einer weiblichen Fruchtbarkeitsgottheit
dargebracht. Auch ergaben die Untersuchungen, dass man die Gefäße
absichtlich zerschlagen hatte.
Kannibalismus lässt sich in Oberfranken
übrigens noch am Übergang von der Späthallstatt- zur Frühlatènezeit nachweisen.
Neben
der Interpretation der Höhle als Kultplatz gibt es neuerdings noch
die Deutung als Friedhof. Nachdem man die Leichname erst eine
gewisse Zeit sich selber überlassen hatte, hätte man dann einige
Skelettteile zusammen mit Beigaben in den Schlund der Jungfernhöhle
geworfen [Nach O. Kunkel 1955 und B.-U. Abels].
'Zerhackt und begraben'
Letztere Vermutungen werden auch durch die
Ergebnisse der Ausgrabungen in der Grubenanlage von
Herxheim bei Landau/Pfalz unterstützt. Hier wurden in den
letzten Jahren (1996 bis 2006) bei einem
DFG-Projekt in Langgruben
deponierte
Überreste von bisher 450
Individuen in fragmentarischem Zustand dokumentiert. Dabei fand
sich auch zerschlagene (teilweise auch importierte)
Keramik sowie Knochen-, Geweih- und
Zahnartefakten.
Während man früher ähnliche Befunde als Ergebnisse kriegerischer
Handlungen interpretierte und diese mit dem Ende der
Bandkeramik verknüpfte, sieht man hierin heute eher Spuren ritueller Handungen
[(9), S. 23 ff].
Auch
gaben die Grabungen des Lehrstuhl für Archäologie Bamberg, die im
Rahmen eines Forschungsprojektes unter der Leitung von Timo Seregély
im Herbst 2008 und Frühling 2009 stattfanden, neue wesentliche
Einblicke. =>
Neues zur Jungfernhöhle...
"Als 'Ötzi', der
weltberühmte Gletschermann vom Similaun, geboren wurde, war die
Jungfernhöhle schon eine Kultstätte mit über 1 000-jähriger
Geschichte. Das unscheinbare Felsloch am Rande des Albabbruches,
unweit von Tiefenellern gelegen, öffnet wie ein Fenster den Blick
auf die letzten 7 000 Jahre Heimatgeschichte. Ein Abgrund, der
schaudern lässt. Die Ausgräber des Bayerischen Landesamtes für
Denkmalpflege entdeckten 1952 auf dem Grunde eines drei Meter tiefen
Schachts neben vielen steinzeitlichen Scherben Gebeine von 26
Kindern und Jugendlichen sowie von 15 Erwachsenen. Ihre Langknochen
waren zertrümmert, die Schädel wiesen am Hinterhaupt Löcher auf, die
Frontzähne fehlten.
Der Schluss der Archäologen lag nahe: Die Jungfernhöhle, so wurde es
seither immer wieder dargestellt, dürfte eine Kultstätte gewesen
sein, in der die Bandkeramiker vor über 6 000 Jahren Menschenopfer
darbrachten und unter großer Gewaltanwendung kannibalische Riten
vollzogen.
Erst vor wenigen Jahren hat der
Mediziner Jörg Orschiedt Zweifel an dieser blutrünstigen
Interpretation geweckt. Bei seiner neuen Untersuchung der Gebeine
mit Hilfe gerichtsmedizinischer Methoden wies Orschiedt nach, dass
die Knochen bis mit' eine Ausnahme zertrümmert wurden, als diese
Menschen schon lange Zeit tot waren. Auch bei den
Schädelverletzungen handelt es sich nach Darstellung des Mediziners
nicht um „frische" Öffnungen, sondern um spätere „Sprödbrüche" ohne
Anzeichen von menschlicher Gewalt. Gegen die Annahme einer
Opferstätte spricht auch die Tatsache, dass viele kleinere Knochen,
zum Beispiel von Hand- und Fußskeletten, nicht in der Höhle zu
finden waren und statt dessen kompakte, große und stabile Lang- und
Schädelknochenteile überdurchschnittlich häufig vorlagen. Die
Schlussfolgerung von Orschiedt liegt auf der Hand: Seiner Meinung
nach wurden in der Jungfernhöhle keine vollständigen Körper
deponiert, sondern Knochen von einer ersten Begräbnisstätte dorthin
umgelagert.
Waren die ersten Oberfranken
Kannibalen oder hingen sie nur der Zweitbestattung an? Welche These
auch immer zutrifft, die Funde in der Jungfernhöhle haben ein wenig
Licht ins Dunkel der frühen Geschichte des Bamberger Landes
gebracht. Die Öffnung im Fels erwies sich als ideale Zeiten-Falle.
Der Lauf der Jahrhunderte ließ unter dem Höhlen-Schlund einen
regelrechten Schuttkegel entstehen. Die Erhaltungsbedingungen waren
so ausgezeichnet, dass Scherben aller jungsteinzeitlichen Kulturen,
vor allem aber der Bandkeramiker, enthalten waren und kaum gelitten
haben. Auch Hinterlassenschaften aus der Bronze- und Eisenzeit
steckten in der Kulturschicht der Jungfernhöhle. Noch im Mittelalter
bis in die Neuzeit hinein wurde das Loch aufgesucht und diente
offenbar als Zufluchtsort und Abfallgrube.
Am Alter der Skelettreste gibt es nur
wenig Zweifel. Bereits 1975 hat eine radiologische Untersuchung ein
Alter von etwa 6 150 Jahren ergeben. Ein 1995 erfolgter Test von
zehn Knochenproben unterschiedlicher Individuen in Zürich bestätigte
die Einschätzung, dass die Höhle vor allem von Bandkeramikern
aufgesucht wurde. Acht der untersuchten Knochenproben wiesen ein
Alter von 6 100 bis 6 800 Jahren auf, zwei gehen auf die Zeit vor 4
700 Jahren zurück.
Wer waren die Menschen, die vor 6 000
Jahren auf dem Schlossberg oberhalb Tiefenellerns lebten - und
vermutlich an vielen Plätzen auf dem Jura? Wenig ist über sie
bekannt: Sie beherrschten den Ackerbau und wohnten in bis zu 30
Meter langen Häusern; sie waren anders als alle nachfolgenden
Kulturen ein Volk, von dem keine Waffen und Verteidigungsanlagen
bekannt sind. Dafür besaßen ihre Keramikgefäße eine bis dahin nicht
gekannte Perfektion."
[Leseprobe aus (7), S. 70, 75]
Literatur
(1) B.-U.
Abels: Archäologischer Führer Oberfranken, Führer zu arch. Denkmälern
in Bayern,
Franken Band 2, Konrad Theiss Verlag Stuttgart 1986 (=
Lit. 2)
(2) B.-U.
Abels, W. Sage, Chr. Züchner: Oberfranken in vor- und frühgesch.
Zeit, Bth. 1996
(=
Lit. 1)
(3) B.-U.
Abels in dem Katalog zur Ausstellung des Historischen Museums
Bamberg: „Frühe Kulturen
in Oberfranken von der Steinzeit bis zum Frühmittelalter".
(4) O. Kunkel, Die Jungfernhöhle bei Tiefenellern.
Eine neolithische Kultstätte auf dem Fränkischen Jura
bei Bamberg.
Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 5 1955.
(5) W.
Thorbrücke u. H.P. Uenze, Bilder zur Vorgeschichte Bayerns. Thorbecke Verlag 1968.
(6)
A. Zeeb-Lanz und Fabian Haack, Zerhackt und begraben: Herxheims
rätselhafte Tote in:
Archäologie in Deutschland, 5 . 2006, September -
Oktober 2006.
Theiss Verlag Stuttgart.
(7) M. Wehner, Unterwegs im Bamberger Land: 15 Wandertouren mir
Einkehrtips,
Verlag Fränkischer Tag 2002
(8) Archäologie in Deutschland, Sonderheft 2006: Lebendige
Vergangenheit.
(9)
Bayerische Archäologie Heft 6 2/2008, S. 23 ff.
=>
Zur neuen Zeitschrift 'Bayerische Archäologie'
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1
Der Eingang zur Jungfernhöhle
[Arch. Führer Oberfranken (2), S. 146]
3
Die restaurierten
bandkeramischen
Gefäße
[Frühe Kulturen
(3), S. 17]
4
Zwei bandkeramische Gefäße
[Arch. Führer Oberfranken (1), S. 35, Abb. 10]
=> nur
rechtes
Gefäß (Historisches Museum Bamberg)
5
Herxheim: Schädeldeponierungen [aus (9),
S. 26 u.]
Abb. 6:
"Das am besten erhaltene Gefäß der Bandkeramik
stammt aus einem Grab
von Sondershausen, Thüringen.
Aus der schwarzbraunen Brennfarbe des
glänzend
polierten Tones tritt ein mattes, mit intensiver Rötelfarbe
bedecktes Mäandermuster hervor. Höhe 14,3 cm."
[aus (8), S. 54]
„Motzenstein" bei Wattendorf,
Lkr.
Bamberg:
restaurierter Kumpf
der jüngsten Linienbandkeramik
[AXT
und RAD en miniature,
Abb. 48]
=>
Neues zur Jungfernhöhle bei Tiefenellern
[Uni Bamberg - Timo Seregély]
=>
Herxheim: Projekt der DFG
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