Ein Forschungsprojekt zur
jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Landnutzung am Bodensee
Im Herbst 2004 hat die Deutsche
Forschungsgemeinschaft ein Projekt bewilligt, bei dem anhand von
neuen, zeitlich hoch auflösenden Pollenprofilen die
spätneolithische und bronzezeitliche Landnutzung am Bodensee
genauer beleuchtet werden soll. Die in diesem auf fünf Jahre
ausgelegten Vorhaben erhobenen Daten sollen mit modernen
statistischen Methoden ausgewertet und in ein geografisches
Informationssystem überführt werden, in dem die zeitliche und
räumliche Dynamik der Kulturlandschaftsentwicklung im Gebiet
während fünf Jahrtausenden fassbar wird.
[Lucia Wick/Manfred Rösch "Von der Natur-
zur Kulturlandschaft. Ein Forschungsprojekt zur
jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Landnutzung am Bodensee.
In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Nachrichtenblatt der
Landesdenkmalpflege 35. Jg. 4/2006]
Kultur kommt vom lateinischen „colere",
was bebauen, pflegen oder auch verehren bedeutet. Primär hat Kultur
also weniger mit Geist oder Kunst zu tun, womit es meist assoziiert
wird, sondern mit Ackerbau. Kulturgeschichte ist daher auch und
nicht zuletzt die Geschichte der Landnutzung. Erst der Anbau von
Kulturpflanzen und die Haltung von Haustieren ermöglichte es dem
Menschen, die Nahrungsproduktion dem Bedarf anzupassen und - ohne
damit die kulturellen Verdienste wildbeuterischer Kulturen schmälern
zu wollen - die Freiräume zur ungehinderten Entwicklung anderer
Kulturbereiche zu schaffen. Die Geschichte früherer Landnutzung ist
daher nicht nur Technik- oder Wirtschaftsgeschichte, sondern
Kulturgeschichte im Sinne des heutigen Kulturverständnisses. Ihre
Entwicklungsstufen und Innovationsschritte waren von zentraler
Bedeutung, und sie sind es noch, denn jahrtausendelange Landnutzung
hat das Gesicht unserer heutigen Landschaft und auch deren
Nutzungspotenzial wesentlich geprägt. Andererseits - und hier
schließt sich der Kreis zur Denkmalpflege - ist Kulturlandschaft als
etwas vom Menschen in der Vergangenheit Gemachtes, das Zeugnis
ablegt von früherem menschlichem Leben, wenn sie auch nicht gänzlich
von Menschenhand hergestellt wurde, ein Denkmal im Sinne des
Gesetzes. Ihre Erforschung gehört mit zu den Aufgaben der
Denkmalpflege.
Die Vorgeschichte
Im Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft
„Siedlungsarchäologische Untersuchungen im Alpenvorland" wurden
zwischen 1983 und 1993 am Bodensee und am Federsee
jungsteinzeitliche und bronzezeitliche Feuchtbodensiedlungen
ausgegraben. Dabei ging es auch um wirtschafts- und
umweltarchäologische Fragestellungen, weshalb
naturwissenschaftliche, insbesondere botanische Untersuchungen einen
breiten Raum einnahmen. Das Alpenvorland hat in der südwestdeutschen
Archäologie eine Sonderstellung, und zwar weniger in siedlungs- und
wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht, als vielmehr hinsichtlich der
besonderen Erhaltungsbedingungen und aufgrund der hohen Anzahl von
Seen und Mooren als Naturarchive. Die vorzügliche Quellenlage
ermöglicht hier Aussagen, die möglicherweise modellhaft für andere,
diesbezüglich weniger günstige Landschaften sind. Als Quintessenz
dieser botanischen Untersuchungen wurde ein starker Gegensatz
zwischen der spätneolithischen (4300-2300 v.Chr.) und der
bronzezeitlichen (1800-850 v.Chr.) Landschaft und ihrer Nutzung
festgestellt. Während in der Bronzezeit, etwas vergröbert
ausgedrückt, in der Art und Weise der Landnutzung bereits das
Mittelalter seine Schatten vorauszuwerfen scheint, bietet die späte
Jungsteinzeit ein völlig gegensätzliches Bild. Trotz deutlichen
Belegen für umfangreichen Ackerbau fehlen Hinweise auf großflächige
Entwaldung. Stattdessen scheinen die natürlichen, von Rotbuche,
Linde und Ulme beherrschten Wälder großenteils durch Niederwälder
aus Hasel und Birke ersetzt worden zu sein. Das geschah nicht durch
bewusste forstliche Maßnahmen, sondern ergab sich aus der
Bewirtschaftung: Schlägt man einen solchen gemischten Waldbestand
immer wieder ab, so gewinnen die gut ausschlagfähigen und
raschwüchsigen Arten Birke und Hasel ein Übergewicht gegenüber den
anderen Arten, die unter natürlichen Bedingungen aufgrund dunkleren
Schattens, höheren Wuchses und Lebensalters konkurrenzkräftiger
sind. Außerdem scheint es in der Landschaft immer wieder gebrannt zu
haben, wie die feinen Kohlepartikel in den Seeablagerungen und
Torfen zeigen. Natürliche Brände sind jedoch in Laubwäldern der
gemäßigten Zone auszuschließen, denn lebende Laubwälder sind wegen
ihrer großen Feuchtigkeit praktisch nicht brennbar. Zur Erklärung
dieser Beobachtungen wurde eine bereits in den Zwanziger Jahren von
dem britischen Archäologen Gordon Childe aufgestellte und später von
Edward Sangmeister modifizierte Hypothese, die mittlerweile als
überholt galt, wieder aufgegriffen. Demnach hätten die
Spätneolithiker ihre Ackerflächen im Wald ständig verlagert, indem
sie diese nach kurzer Nutzung aufgaben und der Wiederbewaldung
überließen. Neue Anbauflächen sollen sie durch Einschlag anderer
Laubholz-Mischbestände und anschließendem Überbrennen der Flächen
mit dem angefallenen Schwachholz geschaffen haben. So arbeiteten sie
sich im Verlauf von etwa 15 Jahren und ebenso vielen Einschlägen
zyklisch durch ihre Gemarkung und wandelten dabei den geschlossenen
Laubwald in ein Mosaik von unterschiedlich weit entwickelten
Wald-Sukzessionsstadien um. Bei der Regeneration des Waldes spielten
die Stockausschläge aus den Wurzelstöcken der gefällten Laubbäume
die Hauptrolle - man bezeichnet das als Niederwald (Abb. 1) - und
die früh zur Blüte gelangenden Pioniergehölze Hasel und Birke
hinterlassen dabei in den Pollenprofilen die stärksten Signale. Der
international gebräuchliche Fachausdruck für ein solches
Anbauverfahren ist shifting cultivation
(Wechselland-Wirtschaft), beziehungsweise slash-and-burn culture
(Einschlag- und Brand-Kultur).
Diese Hypothese wurde Ende der Achtziger Jahre angefochten, und sie
ist immer noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Neue
gewichtige Argumente lieferten seit Mitte der Neunziger Jahre die
Experimente zur spätneolithischen Landnutzung, die auf Initiative
und unter wesentlicher Mitwirkung des damaligen Landesdenkmalamtes
in Hohenlohe durchgeführt wurden und werden.
Über die Anbauversuche in Forchtenberg wurde in Publikationen des
Landesamts für Denkmalpflege schon mehrfach ausführlich berichtet.
Die Quintessenz nach acht Jahren experimentellem Anbau in
Forchtenberg lautet: Auf mittleren und schlechteren Böden ist kein
anderes im Neolithikum praktikables Anbauverfahren als das
slash-and-burn-Verfahren bekannt, um auf effektive Weise
Getreide zu erzeugen. Die hohen (bis 80 dt/ha) und sicheren Erträge
rechtfertigen den höheren Arbeitsaufwand beim Brandverfahren. Auf
sehr guten Böden, zum Beispiel Lössböden, lassen sich dagegen mit
den neolithischen Möglichkeiten auch ohne Brand oder Düngung
ordentliche Erträge erzielen. Da der Arbeitsaufwand bei jährlichem
Anbau auf der gleichen Fläche mit mechanischer Bodenbearbeitung
geringer ist als bei shifting cultivation, bringt auf sehr
guten Böden shifting cultivation gegenüber dem Daueranbau
keine Vorteile. Deshalb war shifting cultivation vielleicht
noch nicht notwendig, als man im Frühneolithikum in den Lössgebieten
auf besten und noch nicht durch langjährigen Anbau verarmten Böden
wirtschaftete.
Fragestellung
Als Argumente für das vorgestellte Landnutzungsmodell dienten die
zwei zeitlich hoch auflösenden Pollenprofile von Hornstaad und
Durchenbergried im westlichen Bodenseegebiet, sowie Großrestanalysen
aus jungneolithischen Ufersiedlungen in Hornstaad und
spätbronzezeitlichen Ufersiedlungen in Unteruhldingen und Hagnau am
Obersee. Zeitlich hoch auflösend bedeutet hier, dass die Profile
lückenlos beprobt wurden und jede Probe 10 bis 20 Jahre
repräsentiert. In herkömmlichen Pollenprofilen ergeben sich hingegen
aufgrund der großen Probenabstände Überlieferungslücken von 100 bis
1000 Jahren zwischen den einzelnen Proben. Die Schwäche der
Argumentation beruhte aber darauf, dass die Pollenprofile und die
botanische Großreste aus Seeufersiedlungen unterschiedliche
geografische Räume wiedergeben. Außerdem wurden die Profile in der
Nähe von jungsteinzeitlichen, beziehungsweise bronzezeitlichen
Siedlungen entnommen; der in den Pollenpräparaten vorhandene
Holzkohlestaub kann deshalb nicht eindeutig Vegetationsbränden in
der Landschaft zugeordnet werden, sondern könnte zum Teil auch von
Herd- und Schadfeuern aus den Siedlungen stammen.
Zielsetzung
Ziel des neuen Projektes ist es daher, die reichlich vorhandenen
archäologischen und archäobotanischen Befunde aus den Ufersiedlungen
des Bodensees mit Daten über Vegetations- und Landschaftsgeschichte
zu verbinden. Damit möchten wir einerseits Informationen über das
räumliche und zeitliche Ausmaß von Eingriffen des prähistorischen
Menschen in die Landschaft erhalten, andererseits aber auch
kleinräumige und kurzfristige Ereignisse im Hinterland der
Siedlungen erfassen. Letztere geben uns Aufschluss über die Art und
Weise, wie die Landschaft für Ackerbau, Viehhaltung und zur Deckung
des Bau- und Brennholzbedarfes genutzt wurde. Außerdem soll der
Frage nachgegangen werden, ob und wo in den so genannten
Siedlungslücken, d. h. in den Zeitabschnitten, für die
archäologische Nachweise an den Seeufern fehlen, Menschen in der
Region gelebt haben.
Im laufenden Forschungsprojekt sollen im Umfeld des Überlinger Sees
mit seinen zahlreichen spätneolithischen und bronzezeitlichen
Ufersiedlungen neue Pollenprofile erstellt werden, um mehr und
bessere Daten zur prähistorischen Landnutzung zu erhalten.
Das Untersuchungsgebiet
Das westliche Bodenseegebiet um den Überlinger See und den
Bodensee-Untersee ist eine hügelige Jungmoränen-Landschaft, 400 bis
700m über Meereshöhe gelegen (Abb. 2). In der letzten Eiszeit wurde
es von dem aus den Alpen vorstoßenden Rheingletscher überfahren. Die
Böden auf würmzeitlichem Geschiebemergel oder eiszeitlich
überformter Molasse und das Klima unterscheiden sich aber in ihrer
Eignung für landwirtschaftliche Nutzung nur wenig von den
Bedingungen in den Gunsträumen Neckarbecken, Gäulandschaften oder
Oberrheinebene. Auf dem Bodanrück und im westlichen Vorfeld des
Bodensees gibt es, eingebettet in die hügelige Landschaft,
zahlreiche ehemalige Toteislöcher oder kleinere
Gletscher-Zungenbecken, in denen sich nach der Eiszeit Seen
bildeten, die - je nach Tiefe - mittlerweile verlandeten und zu
Mooren geworden sind oder immer noch offene Wasserflächen haben
(Abb. 2). Sie stellen, neben mächtigen Seekreidebänken aus der
Flachwasserzone des Bodensees selbst, die Naturarchive zum Studium
der Landschafts- und Landnutzungsgeschichte dar. Bedeutende Archive
der Besiedlungsgeschichte während des Spätneolithikums und der
Bronzezeit sind die Überreste von mehr als 100 prähistorischen
Ufersiedlungen in der Flachwasserzone des Bodensees, die seit Langem
Gegenstand der archäologischen Forschung wie auch der Denkmalpflege
auf deutscher und auf Schweizer Seite sind. Längere chronologische
Lücken der Uferbesiedlung an bestimmten Uferabschnitten oder am
gesamten Seeufer in Zeiten, wo andernorts Feuchtbodensiedlungen
bekannt sind, sowie deutliche Hinweise auf menschliche Eingriffe aus
den Pollenprofilen während solcher siedlungsfreier Zeiten legen
nahe, dass die bisher bekannten Siedlungen nur einen kleinen Teil
des ursprünglichen Bestandes darstellen und dass ein größerer Teil
noch nicht gefunden oder vor der Entdeckung vollständig zerstört
wurde.
Material
Nach mehreren Sondage-Bohrungen wurden aus der Flachwasserzone des
Überlinger Sees im Bereich der Insel Mainau zwei
Seekreide-Bohrprofile von jeweils 14m Mächtigkeit gewonnen (Abb. 3
und 4). Darin sind nach derzeitigem Untersuchungsstand jeweils die
letzten 15000 Jahre lückenlos erfasst. Aufgrund der hohen mittleren
Ablagerungsrate von fast 1 mm pro Jahr ist eine hohe zeitliche
Auflösung möglich. Wenn man sie beispielsweise lückenlos in
Würfelchen von 1 cm3 unterteilt, erhält man 1400 Proben, von denen
jede die Vegetationsgeschichte von im Schnitt 10 Jahren wiedergibt.
Nur gut 5 m mächtig waren hingegen die organischen Ablagerungen der
Spät- und Nacheiszeit aus dem Zentrum des 16m tiefen Mindelsees.
Dennoch sind sie von besonderem Wert für paläoökologische
Untersuchungen, weil sie über mehrere Tausend Jahre in der
Nacheiszeit jahreszeitlich geschichtet sind (vgl. Abb. 5) und damit
eine gute Basis für die chronologische Einstufung der
Pollendiagramme bilden. Ergänzt wurden diese Lokalitäten durch
Bohrprofile aus dem Dingelsdorfer Ried und dem Bussenried, zwei auf
dem Bodanrück gelegenen Mooren, die durch Verlandung kleiner, von
der letzten Vergletscherung gebildeter Seen entstanden sind. Da
diese Seen bereits in der Bronzezeit verlandeten, ist der für das
Projekt relevante Zeitraum teilweise im Torf repräsentiert, der
wegen einer eher schlechten Pollenerhaltung und der beschränkten
Aussagemöglichkeiten über die Landnutzung weniger günstig ist als
Seesedimente. Daher wurden bei einer Bohrkampagne im September 2005
Sedimentkerne aus dem Profundal, d. h. der zentralen Tiefwasserzone,
einiger kleiner Seen im westlichen Vorland des Bodensees entnommen.
Es sind dies der Böhringer See, der Litzelsee und die Buchenseen
(Abb. 2 und 3).
Die Untersuchungsmethode
Für die Pollenanalyse werden aus den Bohrkernen lückenlos Proben von
je 1 cm3 Volumen entnommen. Um andere mineralische und organische
Komponenten zu zerstören und dadurch den Pollen anzureichern, werden
die Proben mit physikalischen und chemischen Methoden (heiße
Salzsäure, Kalilauge, Flusssäure, Essigsäureanhydrid und
Schwefelsäure) behandelt und dann in Glyzerin überführt (Abb.6). Die
mikroskopische Analyse erfolgt bei 400-facher Vergrößerung durch
Durchmustern von Ausstrichpräparaten, wobei in jeder Probe etwa 1000
Pollen bestimmt und registriert werden (Abb. 7 und 8). Die Zählwerte
für die einzelnen Taxa (Arten, Artengruppen) werden in Prozente
umgerechnet. Bezugsgröße ist die Gesamtsumme von Baumpollen und
Nichtbaumpollen in der Probe. Im Pollendiagramm vom Buchensee BUC-AB
(Abb. 9) sind auf der linken Seite die Prozentwerte der Bäume und
Sträucher und rechts diejenigen der Gräser und Kräuter dargestellt;
das Summendiagramm in der Mitte zeigt die Prozentsummen dieser vier
Gruppen. Pollenkurven mit geringen Werten wurden 10-fach überhöht
(schwarze Linie).
Prozentberechnungen haben den Nachteil, dass die Werte der einzelnen
Taxa sich gegenseitig beeinflussen, dass also die starke Zunahme
einer Art automatisch einen Rückgang der anderen Taxa bewirkt, auch
wenn dies in Wirklichkeit nicht zutrifft. Um solche Verzerrungen zu
erkennen, werden mithilfe von zugegebenen Bärlappsporen-Tabletten
Pollenkonzentrationen (Anzahl Pollenkörner pro cm3 Sediment)
berechnet. Für die Datierungen wird das Alter von pflanzlichen
Grossresten (Samen, Früchte, Blätter, usw.) im Sediment mithilfe der
Radiokarbonmethode bestimmt. Am Mindelsee und teilweise auch am
Böhringer See bieten jahreszeitlich geschichtete (laminierte)
Sedimente eine zusätzliche Datierungsmöglichkeit. Dazu werden aus
getrockneten und in Kunstharz eingegossenen Sedimentstücken
Dünnschliffe hergestellt, auf denen unter Lupenvergrösserung die
Jahresschichten abgezählt werden (Abb. 5). Bei genügend guter
Datierung der Profile ist es möglich, die Anzahl der Jahre pro cm
Sediment zu berechnen und damit die Pollenwerte als Influx, also
jährlichen Polleneintrag pro cm2 Sedimentfläche, zu bestimmen. Auf
diese Weise werden auch Vegetationsveränderungen sichtbar, die im
Prozentdiagramm nicht zu erkennen sind. Bei der prähistorischen
Landnutzung spielte Feuer eine wichtige Rolle. Um ein Maß für die
Häufigkeit beziehungsweise Intensität von Bränden zu erhalten,
werden auch die in den Pollenpräparaten vorhandenen mikroskopischen
Holzkohlepartikel gezählt, ein Verfahren, das erst seit wenigen
Jahren angewendet wird. Die Holzkohlepartikel sind im Pollendiagramm
BUC-AB (Abb. 9) als Prozentwerte bezogen auf die Pollensumme
dargestellt. Für eine genauere Rekonstruktion von Brandereignissen
wird der Holzkohle-Influx berechnet (jährlicher Eintrag von
Holzkohlepartikel pro cm2 Sedimentoberfläche). Ein Pollenprofil ist
zunächst eine punktuelle Quelle mit einer ausgeprägten zeitlichen
Tiefe. Erst durch vergleichende Auswertung mehrerer Pollenprofile
gewinnen die Aussagen auch eine räumliche Dimension. Dafür stehen
heute elektronische Hilfsmittel zur Verfügung. Die in diesem Projekt
erhobenen Daten werden daher nicht nur statistisch; sondern auch
mithilfe eines Geographischen Informationssystems (GIS) ausgewertet,
um räumliche Muster in der Landnutzung zu erkennen.
Erste Ergebnisse
Die beiden Profile aus dem Überlinger See und dem Mindelsee sind
zurzeit in Bearbeitung. Die Pollendiagramme sollen einen zeitlich
hochauflösenden (am Überlinger See ca. 10 Jahre pro Probe) Überblick
über die Vegetations- und Besiedlungsgeschichte im
Untersuchungsgebiet liefern. Da in größeren Seebecken generell der
regionale Pollenniederschlag überwiegt, sind sie vor allem für die
Rekonstruktion von großräumigen Landschaftsveränderungen von
Bedeutung. Dazu gehören sowohl „natürliche" Ereignisse, wie etwa die
Einwanderung und Massenausbreitung der Rotbuche im mittleren
Postglazial, als auch ausgedehnte Entwaldungen und andere
anthropogene Einflüsse, die im Zusammenhang mit demografischen,
wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen im
Siedlungsgebiet stehen. Der Effekt von einzelnen, räumlich
begrenzten Ereignissen wird dabei in den Pollenspektren oft durch
regionale Signale überdeckt. So lassen sich zwar zum Beispiel im
Pollenprofil vom Buchensee in der Bronzezeit eine Zunahme von
offenen Flächen und Veränderungen in der Struktur der Wälder
erkennen (Abb. 9, Diagrammabschnitt 4: Zunahme der Nichtbaumpollen,
Zunahme der Eiche, Rückgang der Rotbuche), aber über die Verteilung
von Wald-, Acker- und Weideflächen in der Landschaft oder die
räumliche Ausdehnung der vom Menschen genutzten Gebiete im
Hinterland der Siedlungen können keine gesicherten Aussagen gemacht
werden. Diese Informationen sollen aus den Sedimentkernen der
kleinen Seen im Hinterland gewonnen werden. Vergleiche von
Pollenspektren aus Oberflächenproben mit Vegetationskarten haben
gezeigt, dass der in kleine Seebecken eingetragene Pollen
hauptsächlich die Vegetation in der näheren Umgebung des Sees
widerspiegelt, während das regionale Pollensignal in den Hintergrund
rückt. Erste Untersuchungen an den Buchenseen, am Böhringer See und
am Litzelsee haben ergeben, dass in allen vier Seen eine lückenlose
Sedimentabfolge bis ins Spätglazial zurück vorhanden ist. Die
Sedimentationsraten im Neolithikum und in der Bronzezeit waren
jedoch so gering, dass die Pollenanalysen nicht mit derselben hohen
zeitlichen Auflösung durchgeführt werden können wie am Überlinger
See. Der Sedimenteintrag in die Seen war in den vergangenen 2000
Jahren verhältnismäßig hoch (1-1.5 mm/Jahr), was vor allem auf
intensive Nutzung der Landschaft seit dem Mittelalter und die damit
verbundene Bodenerosion zurückzuführen ist. Die Sedimentmächtigkeit
für die Periode vom Beginn der Nacheiszeit (ca. 9500 v.Chr.) bis zur
Römerzeit dagegen beträgt ca. 500cm im südöstlichen Becken der
Buchenseen und lediglich ca. 180-210 cm in den anderen drei Seen, was
einen mittleren jährlichen Sedimentzuwachs von nur 0,5
beziehungsweise 0,2 mm bedeutet.
Das vorläufige Pollendiagramm (Abb. 9) aus dem zentralen Teil des
heute nur noch rund zwei Meter tiefen südöstlichen Buchensees zeigt
eine Übersicht über die Landschaftsentwicklung von der
späteiszeitlichen Wiederbewaldung bis zum Beginn des Mittelalters.
Am Ende der letzten Eiszeit wurden die eisfreien Rohböden nach dem
Rückzug der Gletscher von baumloser Steppenvegetation besiedelt
(Abb. 10). Die Wiederbewaldung wurde von einer kurzen Phase mit viel
Wacholder eingeleitet. Dank einer markanten Klimaverbesserung wurden
die Wacholderbestände um etwa 13500 v.Chr. sehr rasch durch lichte
Birkenwälder ersetzt (Abb. 11), in welche dann die Waldkiefer (Abb.
12) einwanderte (Diagrammabschnitt DA-1). Ein letzter
späteiszeitlicher Klimarückschlag, die Jüngere Dryas, verursachte
nochmals eine starke Auflichtung der Wälder, bevor dann zu Beginn
des Postglazials Wärme liebende Laubbäume einwanderten. Bis etwa
5000 v. Chr. war das westliche Bodenseegebiet von dichten
Laubmischwäldern bedeckt (DA-2, Abb. 13), die erst von der Hasel und
später von Eiche, Ulme und Linde dominiert wurden. Dann erfolgten
grundlegende Veränderungen in der Landschaft: Die Rotbuche breitete
sich aus, während Ulme und Linde weitgehend verschwanden und die
Eiche auf schlechtere Böden verdrängt wurde. In der darauf folgenden
buchenreichen Zeit (DA-3, Abb. 14) sind aber mehrere deutliche
Rückgänge dieser Buchenbestände zu beobachten, die mit einer Zunahme
der Pioniergehölze Hasel, Erle und Birke einhergehen. Gleichzeitig
weist ein deutlicher Anstieg der mikroskopischen Holzkohlepartikel
und die ersten Funde von Getreidepollen auf menschlichen Einfluss
hin. Dabei sind im Pollendiagramm kaum Hinweise auf
Waldauflichtungen, also zunehmende Anteile von Nichtbaumpollen, zu
erkennen. Das lässt darauf schließen, dass der Getreidebau
kleinflächig betrieben wurde und dass die verlassenen Anbauflächen
anschließend verbuschten.
Dann kam es wieder zu einem grundsätzlichen Wandel: Die Rotbuche
verlor endgültig an Bedeutung, und zwar zugunsten der Eiche. Diese
verdankte ihre Zunahme der Förderung durch den Menschen. Sie war
wertvoll als Lieferant von Bau- und Brennholz und für die
Schweinemast (Abb. 5). Zudem ist sie dank ihrer dicken Borke
unempfindlich gegen Bodenfeuer, anspruchsloser als die Rotbuche und
aufgrund ihrer lichten Krone für eine Forststruktur geeignet, bei
der verschiedene Etagen unterschiedlich genutzt werden. Das
geschieht beispielsweise beim Mittelwald, wo in der Baumschicht
Eichen mit langer Umtriebszeit Bauholz und Eicheln liefern und
darunter mit schnell wachsenden Pionieren wie Hainbuche, Birke,
Hasel in kurzer Umtriebszeit Brennholz erzeugt wurde. Zugleich mit
der Eiche nehmen die Nichtbaumpollen deutlich zu, was auf
ausgedehnte, waldfreie, mit krautiger Vegetation bewachsene Flächen
wie Weiden oder stark vergraste Felder hindeutet. Diese Entwicklung
war aber nicht kontinuierlich, sondern von Rückschlägen
unterbrochen, in denen der Wald seinen angestammten Platz
zurückeroberte. Nach einer Phase intensiver Landnutzung in der
Bronzezeit (DA-4) folgte, wohl in der frühen Eisenzeit (Hallstatt
C), ein Rückschlag. Nun wanderte mit der Hainbuche auch der letzte
der heimischen Waldbäume ein. Nach intensiver Besiedlung und
Landnutzung von der Eisenzeit bis in die römische Kaiserzeit (DA-5,
unten) ließ die Siedlungsintensität in Völkerwanderungszeit und
Frühmittelalter (DA-5, oben) nochmals nach. Zuoberst in DA-5 ist
gerade noch der Beginn des früh-/hochmittelalterlichen Landesausbaus
erfasst. Bezeichnend dafür ist der Anstieg der Roggenkurve. Die
mittelalterliche und neuzeitliche Entwicklung ließe sich in weiteren
3m Sediment detailliert studieren, doch ist dies im Rahmen des
Projekts nicht vorgesehen, sondern künftigen Forschungsvorhaben
vorbehalten. Das Gewicht liegt vielmehr auf kurzfristigen und feinen
Änderungen der Landnutzung vor der Römerzeit, die beim derzeitigen
Bearbeitungsstand - die Probenabstände betragen 10 cm, was etwa 100
bis 150 Jahren entspricht - noch nicht sichtbar sind, aber durch die
vorgesehene Untersuchung des kompletten Kerns, aufgeschnitten in
Scheibchen von jeweils 1 cm Dicke, erkennbar werden.
Literatur
Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.), Zu den Wurzeln europäischer
Kulturlandschaft - experimentelle Forschungen, Materialhefte zur
Archäologie 73, 2005.
Lechterbeck, J.; „Human impact" oder „Climatic change"? Zur
Vegetationsgeschichte des Spät-glazials und Holozäns in
hochauflösenden Pollenanalysen laminierter Sedimente des Steißlinger
Sees (Südwestdeutschland). Tübinger Mikropaläontologische
Mitteilungen 25, 2001, Tübingen.
I.C. Prentice, Pollen representation, source area, and basin size:
toward a unified theory of pollen analysis. Quaternary Research 23,
1985, 76-86.
M. Rösch, Naturwissenschaften und Archäologische Denkmalpflege (3):
Die Archäobotanik. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 18/2
(Stuttgart 1989), 85-96.
M. Rösch, Anthropogener Landschaftswandel in Mitteleuropa während
des Neolithikums. Beobachtungen und Überlegungen zu Verlauf und
möglichen Ursachen. Germania 78,2, 2000, 293-318.
M. Rösch, Eine steinzeitliche Miniatur-Kulturlandschaft in Hohenlohe
- Denkmal früherer Landnutzung aus der Retorte. Denkmalpflege in
Baden-Württemberg 31/2, 2002, 68-73.
M. Rösch, 0. Ehrmann, L. Herrmann, E.Schulz, A. Bogenrieder, J. P.
Goldammer, M. Hall, H. Page, W. Schier, An experimental approach to
Neolithic shifting cultivation. Vegetation History and Archaeobotany
11, 2002, 448-450.
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den Datierungsmethoden]
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Abb. 2: Luftbild vom Bodensee: Untersee
mit den in die Jung-Moränen-
Landschaft eingebetteten kleinen Seebecken.
Abb. 6: Aufbereitung von Pollenproben
im Labor.
Abb. 7: Auswertung einer Pollenprobe am Durchlicht-Mikroskop.
Abb. 8: Pollenkörner des Spitzwegerichs (Plantago lanceolata);
Rasterelektronische Aufnahme. Abb. 5: Jahreszeitlich
geschichtete (laminierte) Sedimente aus dem Schleinsee. Bei den
hellen Schichten handelt es sich vor allem um Karbonate, die im
Frühjahr und Sommer ausgefällt werden; die dunklen Lagen bestehen
aus abgestorbenen Algen, Wasserpflanzen und anderen Organismen, die
im Herbst und Winter auf den Seegrund sinken.
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Abb. 9: Pollendiagramm vom
südöstlichern Becken der Buchseen mit den wichtigsten Pollentypen.
Die Holzkohlepartikel sind in Prozenten, bezogen auf die
Pollensumme, angegeben.
[Entnommen aus: Denkmalpflege in
Baden-Württemberg, Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege, 35. Jg.
4/2006, S. 225-233. Eine Reihe von Abbildungen musste weggelassen
werden.]
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